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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Sticks befeuchtet wurde.
    Das Mäulchen, sagte die Hertz, sei im Alter geschrumpft.
    Kieferveränderung in hohen Jahren sei normal, aber er sei allzu fett.
    Ach was, erwiderte Frau Hertz. Mein Gatte, Gott hab ihn!, verfettete schon sehr früh. Sitzende Tätigkeit ist immer schädlich. Er schrieb an einem Buch über Leben und Tod oder so; fragte man ihn, was er mache, sagte er, ich schreibe, im Intransitiv, wenn das der korrekte Ausdruck ist.
    Immer eine Sache der Objektbindung, sagte ich, jedenfalls in Zweifelsfällen.
    Soso, sagte Emma Hertz und benetzte die Zunge des roten von der Altersträgheit matten Katers in der Wiege.
    Zu fett, sagte sie, das mag stimmen, was meinen Seligen betrifft. In zwölf Jahren schrieb er 27 Kladden voll, alle im Format DIN A5 in grünes Kunstleder gebunden, das Papier war kariert und links gelocht, zum Finale hin waren es über 2400 Seiten, und er sagte nach jedem Arbeitstag, Musil sei erledigt durch die qualitativ hochwertige Prosa im Hertz-Stil.
    Alle Achtung, sagte ich, was für eine tapfere Hybris.
    Viel war nicht dran, sagte Frau Hertz; hat dann das Ding mehr als hundert Verlagen angeboten; es passe nicht ins Programm, hieß es in den Formbriefen. Na, er resignierte, wickelte das dicke Manuskript in Alufolie, versenkte es im Schreibtisch, lag traurig herum und las bis zu seinem Ende nur noch Kataloge diverser Versandhäuser. Er entschlief sanft, in den Händen einen Katalog von Beate Uhse. Mein Seliger war so fett geworden, dass er kaum in einen normalen Sarg passte, er quoll sozusagen über die Ränder und –
    Danke, sagte ich … muss meine Tiere füttern.
    Und in Gedanken schloss ich den Sargdeckel über der unglücklichen Existenz dieses Mannes und Gatten. Vielleicht ein Genie.

 
    87 Gern denke ich an Frau Emma Hertz, Lehrerin für Französisch, Handarbeit und Geographie. Aus der liebevollen Patchwork-Kreation aus Katzenfellen wurde nichts; eines Tages stolperte sie über eines der Katzenklos im Badezimmer, stürzte und blessierte sich tödlich an der rechten Schläfe. Die Katzen fraßen sie nach einigen Tagen der Entbehrung an, aber ihre Kiefer waren zu schwach, so dass sie keine ernsthaften Schäden mehr anrichten konnten.
    Wer weiß, wer sich unter ihren Pelzen wärmt.
    Wieder ein Kapitel abgeschlossen.
    Ich köpfte die zweite Flasche Roederer.
    Mit Wehmut dachte ich an die Arche Singrams.
    Meine private Arche, das von allen verlassene Habitat, war still und dunkel; der Mond beleuchtete das rauchgrüne matte Glas der Champagnerflasche.
    Singram, der Maler, hatte nicht alle Tiere gerettet.
    Mein eidetischer Tresor lieferte eine Preziose, die Aram Schlitz trotz Lupe entgangen war; ich würde ihm schreiben müssen.
    Am Ufer dieses unvergleichlichen Bildes inmitten der phantastischen Flora – Lärchen, Hibiskus und Farnkraut – schlief ein Albertosaurus, die Vorderpfoten gefaltet zum Gebet. Das flache, gepanzerte Kinn verschmolz mit den Sonnenreflexen auf den Farnblättern, darüber leuchteten schwarzblaue Gewitterwolken mit einem opulenten Silberrand, sehr stimmungsvoll und bis zum letzten Pinselstrich kalkuliert düster. Max hatte den kleinen Saurier nach einer Skizze von Lawrence Lambe gemalt. In meiner kleinen Kulturgeschichte ausgestorbener Tiere von Lionel Hampton jun. stand:
    «Albertosaurus, Aasfresser, s. Abb. S. 123, der die meiste Zeit seines Lebens faul herumlag und sich nur, wenn der Hunger ihn überkam, niedrig schlurfend auf die Suche nach etwas Fressbarem machte.»
    Warum zum Geier hatte Max sie als Schatten auf die Rahsegel gemalt und diese liebenswürdig indolente Echse schlafend am Ufer zurückgelassen, während ein anmutiges Pärchen Siebenschläfer – eine sehr parteiische Wahl, nehme ich an – an Bord gehen durften … Zwei Säbelzahntiger backbord, die vor Zärtlichkeit sabberten, und zwei Einhörner, obwohl keine Jungfrau an Bord war, in deren Schoß sie, der Legende nach, ihre Köpfe legten. O du rätselhafter Max Singram. Hatte er es der armen Kreatur erlaubt, von einem vergangenen, vielleicht vergeudeten Leben zu träumen, und ließ es taktvoll die neue Zeit versäumen?
    Der Albertosaurus verpasste den Transfer. Als die schwarze Flut stieg, blieb er ruhig liegen, eine kleine Weile wurde er von den Wellen getragen, dann ließ er sich mit einem winzigen Sauerstoffvorrat auf den Grund des Meeres sinken, öffnete noch einmal Augen und Nüstern und starb.
    Ich erinnerte mich an einen Brief, den Max schrieb, bevor er sich Hand in Hand mit Helene in

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