Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Savonarola-Methode therapieren – Feuer und Schwert –, aber ich hob den Finger und sagte: Moral! Das wäre unmenschlich, wir nehmen ein Insektizidspray. Die Tierchen werden sterben wie die Fliegen.
Wir benutzten das Spray in jedem Zimmer und sprühten es sogar hinter die Schnapsorgel, falls die Ameisen Lust haben sollten, die Alkoholvorräte zu okkupieren.
Die Chemie ist ein Glücksfall für die Menschheit – das hatte der große Justus Liebig 1861 auf einen mineralgedüngten Acker gesagt, seiner größten Erfindung nach dem Chloroform.
Durch die Spray-Gifte blühten Frau Horaks Flechten stattlicher denn je; sie besiegte den Juckreiz durch innerliche Gaben von Gin. Ich war immer leicht betäubt, und meine Kapazitäten, wenn sie je vorhanden waren, nahmen rapide ab.
Mein Kanon der sechzehn Therapieangebote wurde ignoriert, kein Schwein kam vorbei, die Stagnation dauerte vier Tage. In der Zeit bauten wir, und es war die reine Therapie für uns, kleine Tunnel und Aquädukte aus Gips für die Ameisen, in die wir Plastikstrohhalme legten. Die Kanäle führten unauffällig an den Wänden entlang zum Zentralnest in der Besenkammer. In den desinfizierten Räumen fanden die arbeitsfreudigen Völker keine Nahrung mehr; Frau Horak erfand eine Tränke in Form einer Pipette mit einem Glaszylinder, in den sie selbstlos Zuckerwasser mit Gin füllte.
Ich schrieb das alles in mein Notizbuch aus Krokodilleder; Material für einen Roman darf man nicht verachten, mag das Sujet auch noch so klein sein.
Am 5. Tag kam endlich ein Patient, ein Ameisenbär, der sich die Zunge verbrannt hatte, ein trauriger Fall.
Der Eigner oder Besitzer war Schweizer aus Chur und sagte, er halte dieses Tier wie sein eigen Kind und teile auch die Nahrung mit ihm, eines Abends Käse-Fondue, Käse zu heiß, ein Gruyère, Zunge verbrannt. Keine meiner Therapien passte, ich wählte Nummer 7 – Funktionsstörungen – und empfahl dreimal Rhizinusöl täglich und viel Mozart. Nie wieder Käse-Fondue!
Funktionsstörungen sind im Praxisbetrieb nicht teuer.
Kreative Grenzerfahrung wäre mir lieber gewesen.
Glück am 7. Tag.
Ein depressiver männlicher Schimpanse, ein hochbegabter Hobby-Maler, aber alt, und der hatte den Tremor und konnte mit dem Pinsel nicht mehr so richtig spritzen.
Edgar, sagte der traurige Besitzer, war in seiner Genie-Zeit besser als Jackson Pollock, denn er benutzte nicht nur die Hände, sondern auch die Füße; aber seit einem Monat male er nur noch mit Schwarz und Weiß, und das drücke auf sein Gemüt.
Das Tier wolle mit der Wahl von Schwarz und Weiß ein Stimmungstief ausdrücken, sagte ich, es mache gerade eine Grenzerfahrung.
Besiege man den Tremor, sagte Frau Horak, müsse das Tier nicht mehr unter dem manichäischen Prinzip malen. Dann könne es die Grenzen seiner Erfahrung mit einem freudigen Violett überschreiten.
Ich will ja nicht, dass er etwas überschreitet, sagte der Herr, wenn ihm das Prinzip gefällt, dann soll er’s auch tun, nur glücklich soll er sein. Ich habe seine Bilder einem bekannten Basler Galeristen gezeigt, und der hat wörtlich gesagt: Hier ist ein Zustand der informellen Malerei erreicht, der unübertrefflich ist.
Ich überreichte Edgar ein paar Tabletten Dogmatil und andere Placebos und dem glücklichen Besitzer die Rechnung.
Ein schöner Tag.
Aber immer Posten 16, Funktionsstörungen. Am Fetisch Kommunikation herrschte kein Mangel, aber was ist an der schon interessant. Der Human-Kosmos ist ja schon völlig bedröhnt. Armes Tier, arme Tiere! Leider kein einziger Fall mehr aus der Kunstszene. Nervenzerrüttung und Auflösung.
Die geistige Insuffizienz ist wohl eine Folge der Vita ad nauseam, Tiere und Menschen, Fell und Schuppen, Haut und Pelz. Es ist genug Zeit zu finalen Betrachtungen an der Bar des Schlummerraums ohne Kundschaft. Auch das Zimmer Jordan nie benutzt.
Am Nachmittag kam eine junge und sehr üppige Dame mit zwei Frettchen in einer Box, beide anämisch. Symptome der Tiere: reizbar, aggressiv und agil das Weibchen, das Männchen Aggressionsschübe nach depressiven Phasen. Dame aus dem Wedding examiniert.
Merke gerade auf dieser Seite, dass ich Goethes späte Tagebücher ca. 1829 im Tonfall imitiere; ein Zeichen von Schwachsinn, eben steht wörtlich mit kranker Klaue gekliert: Einiges expediert, vorher manches auf der Patiententoilette mundiert, sodann Möglichstes beseitigt. Oberaufsichtlich Expeditionen bei den Pharao-Ameisen befördert.
Die Ameisen sind kregel und
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