Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
vermache Ihnen meinen rätselhaften Körper, ein Schatzdepot, diese kostbare Stoffsammlung aus der Ursuppe Gottes, diese meine sterblichen Agglomerationen schon zu Lebzeiten … nach meinem Tod dürfen Sie mich ausschlachten … die Nieren sind herrliche, kleine Steine … die Leber verträgt noch jederzeit einen Methusalem Bordeaux … die Galle, sie kennt mich nicht, das beruht auf Gegenseitigkeit … eine letzte Dosis Sperma vermache ich einer entzückenden Witwe mit Kinderwunsch in der Dordogne … mein Blut mag ein junges Mädchen namens Catherine empfangen, leicht anämisch, ist sie wohl inzwischen 60 Jahre alt … die Milz … lassen wir die Milz beiseite –, peut-être Katzenfutter; der Körper ist reich … meine Augen – Sie haben doch alles notiert, Monsieur Singram – spende ich dem Blindeninstitut Parnass in Paris … meine Blase – non! Die Speiseröhre ließe sich wohl implantieren – Sie haben keinen Einwand, Singram, bon. Was man aus Därmen machen kann, weiß ich nicht, possibile Violin-Saiten – égal … meine Lunge, zuviel Gitanes und Gauloises, allerdings blonde – non, wäre eine Zumutung. Nun endlich mein Herz – das stehen bleibt, denke ich an seinen künftigen Gebrauch –, kein Unwürdiger soll es kriegen, ich dachte an Sie …!
Die Haut, ach, die süße Haut der Frauen, die meine – nicht zu denken! Alt, schlaff, ohne Mehrwert … es sei denn, man könnte aus ihr Stiefelchen anfertigen für eine herrliche Madame aus Limoges, die immer an den Füßen fror, Größe 36.
C’est le testament. Ich werde unseren Dr. Spoerri informieren über diese Verfügungen, sollte ich eine zweite trichotomische Tablette zwischen Körper, Seele und Geist-Doping noch überleben.
Gute Nacht.
Und der alte Prussac zog die sanatoriumsinterne Decke über den Kopf und schlief ein.
91 Diese ominöse, polyvalente Pille – muss Spoerri konsultieren. Nach Prussacs Abgang (ich meine nicht seinen endgültigen) im Morgengrauen räumte ich auf. Der liebe P. hatte sich meine Decke unter den Nagel gerissen, den Cognac und ein sehr bestoßenes, eselsohriges Exemplar eines Buches aus der Bibliothek von einem gewissen Paulo Coelho, der unaufhörlich Wanderungen durch sein ‹inneres Reich der Spiritualität› unternahm, Lebenshilfe-Futter für düpierte Manager, Sozialhelfer und Kindergärtnerinnen; ein sog. Weltbestseller; mir konnte er gestohlen bleiben. Ich gönnte Prussac den Stoff. Stellte mir das alte Wrack unter der Decke vor, gurgelnd mit einer in Cognac aufgelösten Tablette, in die Blutbahn gespült und gedopt durch positive Sätze Coelhos wie ‹Verbindung mit sich selbst› oder ‹Was tue ich hier› oder ‹Was ist der Sinn des Lebens›.
Schwamm drüber.
Mochte der alte Bursche seine Sinn-Defizite auf diese Weise in Balance bringen; seine Organ-Präsent-Idee hatte mich irgendwie gerührt; kommt nicht alle Tage vor und dann noch von Patient an Therapeut. Tolle Sache eigentlich. Hinterließ an der Rezeption ein Billett für ihn –
Lieber Freund,
Sie sollten sich besseren Büchern anvertrauen. Pflegen Sie doch bitte die Lektüre großer Forscher wie Amundsen oder Nobile, Scott besser nicht. Lesen Sie Major Hardys Bericht Verloren in Alaska – existenzielle Situation, aber ausgewogen – Hardy treibt mit zwei Indianer-Mädchen auf einem Floß – und nur ein Zelt für drei! auf dem Yukon. Kälte! Todesangst! Sex! Letzter Zwieback! Das ist Literatur, das ist Leben, so hält man das Sinndefizit in Schach, unter dem wir alle leiden. Die lateinamerikanische Literatur wird überschätzt.
Der Ihre, Arthur.
92 Fortsetzung des Berichts, die objects rétrouvées.
Da ich nicht plante, die Praxis Horak/Curtius noch einmal zu besuchen, packte ich ein paar nützliche Geschenke zur Lektüre im Scottschen Zelt beim Licht der Petroleum-Lampe, während der Recorder südpolare Stürme zum Besten gab.
Mich sorgte, dass die kleine Verwirrung des Freundes Curtius noch keinen wirklich therapierbaren, in allen Details kohärenten Wahn abgab. Entweder er wollte nicht, oder er konnte nicht.
Gegen das Sein-Können etc. (Duns Scotus) kann man nichts machen – man lebt oder man lebt nicht. Basta. Gegen den Primat des Willens (s. alle Philosophen) vermag ein Mensch alles oder nichts. Gegen das ‹können› oder ‹nicht-können› lässt sich so manches ins Feld führen. C. musste infiltriert werden, das war’s.
Wäre seine Idée fixe vollständig – Löwen, Südpol, Zelte, Knock-Identifikation, alles das –,
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