Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
schon der alte Brehm einwandfrei festgestellt.
Mein Bleistift versagt. Graphitverlust.
Schubel starb.
Finalsatz, rührend – Leben ist Sterben, der Tod ist belanglos.
Auch ich mache mir Gedanken gewissermaßen über Trauriges. Munz sagte mir vor seinem altruistischen Abschied, er leide an Magenkrebs. Das war mir unangenehm, beeinträchtigte – o Moral, wo bist du! – nicht den Appetit.
Der Mensch ist nicht nur fallit, er ist schmutzig, er ist eine Kloake.
Man höre Eisbären nicht, sagte Usa in dunkler Sprache, man spüre sie aber mit allen Sinnen, wenn sie uns erreicht hätten, das habe noch eine halbe Stunde Zeit.
Der Bleistift ist ein Stummel, gehe jetzt wieder zur alten Schreibmaschine über, lieber Freund – genieße deine Phantasien, bleibe im Zelt, erwarte Löwen und Eisbären – Anita Horak hat garantiert für Deine letzten Visionen – bleib tapfer – zwischen ihren herrlichen Brüsten ein Walrossmesser, das sie Dir rechtzeitig wird ins Herz stoßen können. Grüße bitte Anita, Borst und Dr. Knock –
Dein Arthur.
PS: Bei meinem kurzen Besuch musste ich zu meinem Leidwesen entdecken, dass Du in Deinem Zelt keine Tiere beherbergtest. Der berühmte Ornithologe Norstroem (ein Freund meines Vaters, dem er eine Sammlung schöner Schwanzfedern vermachte) zähmte eine Familie Lemminge, die er bei kaltem Wetter unter seinen Achseln schlafen ließ. Lemminge sind schwer aufzutreiben. Schlage stattdessen Polarfüchse vor. Die sinnen immer auf Blut, man kann sie aber auch an Milchspeisen gewöhnen; solltest du immer noch an deiner Laktose-Intoleranz leiden, gib ihnen Katzenfutter, und teile mit diesen geselligen Geschöpfen die Mahlzeiten. Sie sind sehr hübsch und kommen in den folgenden Farbkombinationen vor – im Winter schneeweiß mit einer schwarzen Schwanzspitze, eisblau oder bleifarbene Exemplare hat man schon gesehen. Wie Urgrandpa Iron berichtet, duften diese Füchse in Zelten leicht nach Moschus. Der Polarfuchs (Vulpes lagopus) ist anschmiegsam, aber diebisch und wird Dir in Deiner Eiswüste viel Freude bereiten.
Ich persönlich halte im Moment, der bald vergehen wird, einen Lebensrückblick, eine Retrospektion und lasse alle Ereignisse (oder Geschehnisse, wie Bergengruen, der Freund unseres Hauses, gesagt hätte) Revue passieren; das Erledigte, das, was man abtun kann und muss, stopfe ich in einen kackbraunen Müllsack. Nichts ist gewiss außer der Vergangenheit (Seneca). Good oder bad luck für Deine Forschungen.
Arthur.
93 Entwurf I
Meine Meriten für die verantwortungsvolle Vertretung in der Praxis für auffällige, verstörte, kranke oder traurige Tiere hatte ich am renommierten Institut Sanitas erworben; die drei Säulen der Anstalt hatten mich früh überzeugt: erstens Philosophie und Persönlichkeitsbildung, zweitens Gesundheit und Heilkunde und endlich Psychologie.
Die Lehrbriefe waren gehaltvoll. Mein Coach, oder wie man das in diesen Kreisen nennt, war eine Dame namens Jaeger, der meine Briefe bis zum Abschluss gefielen. Ich war ein idealer Kandidat, weil mir die Millionen Leiden der Menschheit und des Individuums am Herzen –
Entwurf II
So ein Fernstudium ist eine sehr angenehme häusliche Sache, aus der ich befriedigt hervorging … Pathophysiologie (27. Studienbrief) musste ich leider wiederholen, weil eine Frau in meinen Leben trat, die –
Die Seminare und die Intensiv-Kurse besuchte ich gern; Basel ist eine hübsche Stadt. Die Anstalt (oder die Akademie) liegt in Arlesheim, mit der Tram 20 Minuten vom Aeschenplatz entfernt.
Entwurf III
Während des Seminars Störherd-Diagnostik, das mir viel bedeutete, kamen wir uns näher, Regula Jaeger und ich. Ihr Vater war vor einem Jahr in Wiesen von einer Alm abgestürzt mit einem schönen Blick auf den Piz Michel; er war, sagte sie, Narkoleptiker, da könne ein solcher Unfall leicht passieren. Das Phänomen Narkolepsie sei hochinteressant, nicht nur für Betroffene. Schlafanfälle seien das, inklusive Tonusverlust.
Mein Großvater Edward hätte in den letzten Jahren seines Lebens in England dieses Syndrom willkommen geheißen, misslangen doch regelmäßig seine Winterschlaf-Experimente.
Ich notierte alles in mein grünes Notizbuch, was mir Regula aus ihrer Praxis –
Entwurf IV
Ich verliebte mich in ihre blauschwarzen Locken und ihre schrägen, gletscherblauen Augen; ihre volle Unterlippe war –
Entwurf V
Eine irgendwie physiologisch-psychisch-physische Gesamtfusion, wie sie Dr. Chesser in Grundformen der Liebe so
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