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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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eindringlich bis zum Coitus (und auch den Katzenjammer danach) analysiert, wollte nicht zustande kommen. Das lag a) an einem denaturierten Hormonhaushalt und b) an ihren rigorosen moralischen Prinzipien.
    Entwurf VI
    Alles falsch.
    In Wahrheit war Hebbel der Grund, Gyges und sein Ring , Aufführung im Goetheanum, mit Schleiertanz und Eurhythmie, ein Erlebnis ohne Beispiel. Sie ging mit, ihre Nüstern – ich lasse diese sinnlichen Details einfach weg – sind quälend. Hätte ich mehr Enthusiasmus gezeigt, sie wäre –
    – auch muss der traurige Irrealis getilgt werden.
    Geistige Erlebnisse dieser Art erzeugen bei gewissen Patienten nervöse Unruhe, Harndrang, eine reaktive Depression und einen Juckreiz auf der Kopfhaut; ich denke, habe alle Störungen nach dem Kunstgenuss exakt verzeichnet.
    Wir gingen zu Fuß den hohen Berg bis zur Tram.
    Die Unterhaltung war unvergesslich. Sternenzelt und das alles.
    Alles Probanden, sagte ich.
    Wer?, fragte Regula.
    Das Publikum, sagte ich.
    Was Sie nicht sagen, erwiderte Regula.
    Schweigen.
    Krank irgendwie, sagte ich.
    Die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit, sagte Regula, seien ganz wahnsinnig ins Fließen geraten.
    Das ist ja das Schöne für den Heilpraktiker, sagte ich – Risiko und Chance.
    Wir kommen nicht zusammen, Arthur, sagte Regula, wenn Sie solche Ansichten oder Meinungen haben.
    Das mochte wohl stimmen.
    Regula, sagte ich, Pardon, Hebbel warf mich aus der Bahn. Wissen Sie, dass er einem Eichkätzchen namens Putzi extrem zugetan war – er zog es allen seinen unglücklichen Frauen vor.
    Ja, die Tiere, sagte Regula, wir aber müssen die Menschen retten.
    In meiner Erinnerung sagte ich, glaube ich – gern, aber Tiere seien mir lieber.
    Sie sind nicht seriös, sagte Regula.
    Die Sterne glitzerten nicht schlecht.
    Mein Vater, sagte sie, Schönheitschirurg in Zürich, hatte einmal einen analfixierten Schäferhund namens Dieter, auch das Tier ist nicht grundsätzlich gesund oder gut, es ist wie der Mensch ein Mix von Trieben und Trauer zwischen den Polen Krank und Gesund.
    Mich interessierte die Therapie am analfixierten Schäferhund. Unterm Schwanz riechen, das ist normal; aber eine Analfixation bei Kötern kommt nicht einmal in der Sammlung psychiatrischer und neurologischer Grundrisse von Klooß und Steinicke vor, die sonst eine jede Abweichung von der sog. Normalität penibel verzeichnet haben.
    Es war, sagte ich vorsichtig, eine sexuelle Deviation.
    Diese Diagnose stellte mein Vater auch oft, sagte Regula kummervoll, aber es brauchte eine effiziente Therapie … der Hund litt, und die Umgebung litt auch.
    Freud, sagte ich, habe bemerkt, die häufigste Krankheit sei die Diagnose.
    Falsch, sagte mein hübscher Coach, das sagte Karl Kraus, und er lag auch daneben! Sie war schon ein verdammt gelehrtes Mädchen. Dr. Jaeger traktierte die Nase des Hundes mit Alaun, deren Schleimhäute nicht mehr funktionierten, eine olfaktorische Katastrophe für jeden Hund, sagte Regula, er wurde eines Tages auf dem Barfüßerplatz von einer Tram überrollt, da hat es viele Trams. Mein Vater sagte bis zu seinem Tod, das sei ein Suizid gewesen. Ich mag’s glauben.
    Rigorose Therapien, sagte ich, beseitigten mitunter Patient samt Schaden, das sei normal.
    Sie sind, sagte sie an der Haltestelle, kein ethisch besonders hochstehender Mensch.
    Der Berichterstatter war entzückt; das hatte ihm noch nie eine schöne Schweizerin mit blauschwarzen Locken und eisblauen Augen gesagt.
    Ich schöpfte wieder Hoffnung.
    Aus der Affäre wurde nichts.
    Letzter Spaziergang oberhalb des Goetheanums zu einem großen Gartenlokal aufwärts. Wir sprachen über Patienten und ihre Krankheiten, was sonst.
    Freue mich auf das beschädigte Patientengut, sagte ich (das Zertifikat in der Tasche), wenngleich es bedauerlich sei, dass ich keine ernsthaften Schäden wie leichte Nervenleiden, mentale Irregularitäten, cerebrale Dunkelheiten und andere Störungen beseitigen dürfe.
    Ich sei ethisch überhaupt nicht hochstehend, sagte die Dame Jaeger.
    Ich wolle ja nicht dauernd an maroden Körpern herummachen, dem Geist gelte mein human interest, wozu hätte ich sonst so viele Nebenstudien betrieben, sagte ich. Regula belehrte mich über die Tatsache (sie sprach von einem unhintergehbaren Faktum der Human-Verfassung), dass der Leib ein heiliges Gefäß sei, eine Art Gral, ja eine endermale Wiege, gefüllt mit sinnreichen Organen, Blut und anderen Säften, voll von Seelenkräften, die da nach der Erkenntnis

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