Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
nehmen Sie eine Davidoff.
Als ich die Flasche entkorkte, erfuhr ich, er habe ein finales Tagebuch angefangen, aus dem werde er später lesen – Liebesleben, Eheleben, auch das, Filmerlebnisse und Beleuchtungsabenteuer.
Der Proband P. machte einen vorzüglichen Eindruck auf mich, da lacht das Herz des empathischen Therapeuten.
Draußen alles verschwommen, sagte der kleine Greis und blickte zum Fenster – aus seinem Morgenrock fiel ein kleines weißes Brüstchen, das er verschämt zurückstopfte –, aber da drinnen, er klopfte kräftig auf den weichen Torso und hustete, Klarheit und Wahrheit. Beim Trinken hüpfte sein Adamsapfel im faltigen Schildkrötenhals. Hin und wieder fuhr die linke Hand mit ausgefahrenen Krallen in seinen Schritt unter dem Morgenrock (Motiv weißer Kakadu mit erigiertem Kamm); er schien sich nicht zu kratzen, überprüfte wohl nur, ob nach alles an Ort und Stelle war. Trug mir dann in einem langen Monolog die Schönheit und die brisante Wirkung der neuen Tablette vor, gewissermaßen eine Anti-Knock-Tablette, denn sie regelte, wie ich erfuhr, kraft magischer Stoffe uneindeutiger Zusammensetzung – ein Geheimnis – ohne ärztliche Eingriffe in die physische Integrität Stoffwechsel, Nerven, das alles!, während alle Organe planmäßig, freudig und sozusagen folgerichtig funktionierten.
Kurz, sagte er, ich bin –
Hier unterbrach er die Suada, um auf die Toilette zu gehen; nach kurzer Sitzung kehrte er zurück, noch während der Spülkasten rauschte, und vollendete seinen Satz: – ein neuer Mensch.
Langsam und oval erschien die rötliche Sonne über einem bergigen Buckel.
Prussac versank in einem Denk-Akt, seine Lippen waren geöffnet und zeigten unmäßig weiße Zähne; seine Augen waren geschlossen, er sah aus wie der geköpfte Hammelkopf, den ich einmal in Paris gesehen hatte, in der Rue Mouffetard. Lange her. Werde mir diese Tablette auch geben lassen, sagte ich, um ihn aufzumuntern.
Triumphal trichotomische Wirkung, sagte der Alte, aber lassen Sie’s sein, ich verlöre durch das Zeug die tägliche Illusion und könne nur noch ans Finale denken. Dann trottete er wieder zur Toilette und hielt eine lange Sitzung mit sich selbst ab.
Bien, sagte er nach seiner Rückkehr. Sah nicht sehr erleichtert aus. Er bat um einen Cognac, der Kreislauf habe sich noch nicht an die Tablette gewöhnt.
War bestimmt contraindiziert. P. trank und verschluckte sich.
Habe heute Notiz gemacht, sagte er, – alors – neben Komposthaufen besteigt Igel eine Bürste mit gelben Borsten, und er rammelt, was das Zeug hält. Fin.
Positive Intervention tat not.
Der arme Igel, sagte ich, hielt in den Nebelschwaden diese Bürste für ein attraktives Albino-Weibchen.
Merde, sagte der liebe Prussac, unten herrschte kein Nebel.
Ich schlug in der folgenden Reihenfolge Irritation durch Deviationsfall in der Natur, den freien Willen beim Tier, den Irrtum ohne Vorbehalt und Irritation durch meteorologische Bedingungen vor. Kein leichter Proband, mein Monsieur. Was hätte wohl Anita Horak in dieser Situation gesagt.
Mir fiel keiner ihrer quasi analytischen Trostsätze ein in dieser schweren Stunde ohne Nebel, mit Igel, Bürste und einem traurigen alten Mann.
Il fait un brouillard épais, sagte Prussac, sah mich aus großen Augen an und fiel vom Sessel.
Der bestürzte Therapeut regenerierte ihn, stabilisierte ihn mit zwei Kissen auf der Couch und flößte ihm Aspirin mit C ein, wahrscheinlich Vitaminmangel; ein ordentlicher Marasmus senilis sieht phänomenal anders aus, wenn er sich mal zeigt.
Merci bien, sagte Prussac. Mental, cher ami, mental derangiert, aber physisch absolut intakt. Ich habe ein Präsent für Sie, ein Cadeau, eine Preziose.
Ich bat ihn, nicht so viel zu sprechen, denn er litt unter Atemnot, fürchtete aber, er könne auf meinem comfortablen Sofa einschlafen.
Das Sichtbare, sagte ich, lieber Prussac, das heißt die sichtbare Materie, sei manchmal eine Chimäre.
Diesen Satz hatte einmal Anita zu der Besitzerin einer kleinen, schwarzen französischen Bulldogge gesagt, die an Haarausfall litt. Prussac lag da auf dem Sofa und zeigte seine haarlosen Beine mit gelben Knien; das blasse, sehr reduzierte Genital, das so viele Damenbekanntschaften gemacht hatte, lag erschöpft auf seinem linken Schenkel.
Ich bedeckte seine Blöße mit der Decke der Nächstenliebe.
Hören Sie, sagte er, Sie sind mir sympathisch, ich schätze Sie – wir sind Brüder im Nebel der Schweiz, geworfen irgendwie -. Ich
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