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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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nun zur Unzeit ins Grabloch fiel – Olga rettete sie mit Tränen in den Augen; ein Unfall, der die anderen Hunde zu neuen Taten ermutigte.
    Ein Chow-Chow namens Rasputin biss in seiner Verlorenheit einen Dackel.
    Der Riesenschnauzer, er hieß, glaube ich, Rex, schleppte eine kleine auberginenfarbene Dame angeleint samt Wodkaflasche in ein Gebüsch; nur ein braun-weiß gefleckter Bassett hatte den Ernst der Stunde begriffen, hockte traurig vor dem präsumptiven Grab Antons, ließ die Ohren hängen und träumte von einem schlichten Epitaph. Der Hund hieß Arthur und sah so betrübt aus, als glaube er nicht an einen Hundehimmel. Tröstete mich mit dem Gedanken, dass alle Bassets auf der Welt konstitutionelle Melancholiker sind.

 
    96 In einer meiner depressiven Phasen vor 30 Jahren (mehr oder weniger, die Daten werden blasser, muss was dagegen tun) schaffte ich mir ein Pärchen Graupapageien an. Sie verstanden sich nicht. Sie saßen stumm auf ihrer Stange, kein Laut zwischen ihnen, keine Zärtlichkeit.
    Ich nannte das Männchen A und das Weibchen B.
    Nach einer Woche des Schweigens begann sich B die Brustfedern auszurupfen, sehr sorgsam, beinahe systematisch und Feder nach Feder. Die Tierärztin diagnostizierte eine Aspergillose, eine Schimmelpilz-Infektion oder Federfollikel-Entzündung und gab mir eine Arznei und Antibiotika.
    Psychostress wegen Einsamkeit, sagte sie; ein Gefährte müsse zu ihr in den Käfig.
    Sie hat einen, sagte ich, aber die Liebe wolle nicht blühen.
    Dann könne man nichts machen, sagte sie und entließ mich mit dem kahlen Vogel.
    Ich fütterte sie mit Hormon-Körnern. Die Liebe entbrannte nicht. Dann begann auch A, sich seiner Federn durch Ausrupfen zu entledigen, Feder nach Feder, erstaunt beobachtet von B, seiner potentiellen Geliebten; bald saßen sie dicht nebeneinander auf der Stange und rupften sich gegenseitig die Federn aus, vor allem an den Stellen, die sie mit dem eigenen Schnabel nur schwer erreichten. Endlich kahl, verlobten sie sich, benahmen sich bräutlich, bereinigten in der Nacht die Terrains von Restgefieder und zeugten in nackter Liebe drei Eier. Sie brüteten einträchtig in ihrem Nest, das ich mit Watte gepolstert hatte, und starrten sich liebestrunken aus ihren gelben Augen an und plauderten. Nach und nach wuchsen die Federn nach, und je mehr Federn sie hatten, desto weniger kümmerten sie sich um ihre drei Eier; aus denen nichts wurde. Sie waren einander wieder fremd. Gewiss ein Lusus naturae.

 
    97 Weiß der Geier, wie ich auf die verdrehte Graupapageien-Liaison gekommen bin. Muss zu Spoerri, vielleicht hilft die Pharmakologie.
    War um 16 Uhr 10 im Praxistrakt, setzte mich auf den Hartplastikstuhl und sagte:
    Dr. Spoerri, seit Wochen in diesem Sanatorium fühle ich mich so wohl, wie es meine Zustände gestatten; das Essen ist gut und genießbar und schlägt keine feindlichen Wellen in den Gezeiten der Verdauung. Es könnte öfter Selleriesalat geben. Manchmal ist die Panade der Wiener Schnitzel zu dick; das alles wissen Sie als Diätetiker. Die Co-Patienten sind angenehm. Ich lernte ganz andere Phobien, Allergien und Idiosynkrasien kennen als die, unter denen ich selbst leide. Glückwunsch für diese überlegene und aparte Auswahl. Sie sind ein ausgebuffter Kenner der Materie. Ihre therapeutischen Maßnahmen fruchten wenig, schaden aber auch nicht, mehr kann man nicht erwarten.
    Doc Spoerri, leicht ausgedörrt von den Freuden mit der nubischen Prinzessin, hob eine Hand und fragte, worauf ich hinauswolle.
    Sie werden es erfahren, sagte ich, er möge sich in Geduld fassen. Ich fuhr fort. Ich wusste exakt, was ich wollte, es war mir nur momentan entfallen.
    Wie Sie wissen, schreibe ich an einer Lebensbeichte. Derlei Berichte – auch ohne belletristischen Ehrgeiz abgefasst – verlangen nach Stil, nach Delikatesse, nach einem gewissen Esprit de Finesse, kurz: nach Form.
    Spoerri murmelte abwesend: Ja, was kann man denn da wohl tun?
    Diese Frage stelle ich Ihnen, sagte ich, es hat wenig Sinn, wenn Sie das Problem einfach umkehren und ausgerechnet mich fragen, was man tun könne.
    Wo denn das Problem liege, fragte Spoerri und betastete nach dieser Frage eine Stelle in seiner Leistengegend.
    Das Problem, sagte ich geistesgegenwärtig, liegt im mentalen Feld.
    Ja dann, sagte Spoerri und bot mir Pflümli an, das er in tiefen Gedanken in eine kleine Vase mit einem vertrockneten Schneeglöckchen goss und dann selbst trank.
    Danke nein, sagte ich, folgende Symptome –

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