Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
höherer Welten strebten in hoffnungsvoller Unablässigkeit –
Da küsste ich sie heftig; sie war unwiderstehlich.
Sie war so verblüfft, dass sie ihre Lippen öffnete (sie hatte einen untherapierten Schnupfen) und mir erst nach vier Sekunden eine Ohrfeige gab, links, glaube ich, ihr passiver Kuss hatte nach Fendant (Gartenlokal), Infludo (von Weleda) und Plombe geschmeckt (sie hatte einen Besuch beim Zahnarzt hinter sich).
Arthur, sagte sie, o Arthur, das hätten Sie nicht … nicht jetzt … nicht hier … nicht mit mir, nein!
Ich liebe deinen Leib, das heilige Gefäß, sagte ich, deine Organe, sekundär und primär, bien égale, lass mich von dir lernen, sozusagen Ethik und Moral, alles, was zu einem Liebesleben gehört, ich bleibe in der Schweiz, auch wenn das Bier barbarisch schmeckt … Wohl die längste Liebeserklärung meines Lebens, während über uns Cumulonimbus-Formationen sich ballten wie eine gequälte Seele.
Sie müssen noch viel lernen, sagte Regula, bevor ich die Tram in Richtung Basel bestieg, von der sie drei Jahre später überfahren wurde; es gibt solche Koinzidenzen ähnlicher Zufalls-Einfälle, auch wenn der Aeschen-Platz (Schäferhund Dieter) ganz andere Straßenbahnen beschäftigte.
Der Abschied war kurz und schmerzvoll. Adieu, sagte die präsumtive Geliebte.
Lesen Sie! Lesen Sie den Ey und den Merleau-Ponty, den Gabriel Marcel und mit Obacht den Sartre, der Georges Bataille schadet wenig, muss aber nicht sein.
Jeder Bataille gewachsen, sagte ich mit Tränen in den Augen, jeder Lektüre, die du magst. Adieu.
In einem Plastikbeutel von Migros überreichte ich mein letztes Präsent – P. J. Möbius, Über das Pathologische bei Goethe . Fing an zu regnen. Donner rumorte über dem Goetheanum. Viel sentimentale Stimmung in der Tram.
Im Möbius hatte ich als Buchzeichen eine Kunstpostkarte aus der Dordogne hinterlassen – zwei karamellfarbene Schweine weiden auf einer Wiese mit Butterblumenschirmchen kurz vor ihrer Reise mit dem Wind.
94 Als Heilpraktiker war mir kein Heil beschieden, die erste Praxis dümpelte so dahin, nach dem zweiten Quartal gab ich die Kuno-Fischer-Straße auf; nehme an, der Lietzensee war zu abgelegen.
Ich hatte chronische Verstopfung behandelt, aber auch rätselhafte Durchfälle, chronische Schnupfen – (Herr Singram, mir läuft seit einem Jahr die Nase, ich bin so deprimiert) –, diffuse Leiden der sog. Erfolgsorgane, gegen die ich gern Zuckerpillen zum Selbstkostenpreis reichte; ich kämpfte gegen virulente Hick-ups, extrahierte eine Baby-Banane aus der Vagina einer frühreifen Elfjährigen (sag aber meiner Alten nichts), ich heilte die Maulsperre eines jungen Mannes, Ursache unbekannt, durch eine kostenlose Ohrfeige; gegen Magenschmerzen und Sodbrennen verteilte ich Antazida, gegen nervöse Unruhe, Schlafstörungen und Gedächtnis-Schwächen empfahl ich wie mein schwedischer Kollege Peterson Rohkostperioden in Verbindung mit dem Konsum roher Kalbsleber.
Waren mir die Patienten sympatisch, durften sie die Leber anbraten; gegen Fettleibigkeit verordnete ich Nahrung nach Rezepten der Omarschen Heildiät, kam immer gut an; gegen Fußschweiß, weit verbreitet, benutzte ich Rezepte des guten Mességué, die schon König Faruk von Ägypten mit Hilfe von Terpentinöl und Zitronensaft geholfen hatten – seine Geliebte Minutolo soll sich nicht mehr beklagt haben; diese kleinen Erfolge retteten nicht vor der Einsicht, dass mein Konzept falsch war.
Andere Kollegen, die ich wegen erfundener Beschwerden aufsuchte, zeigten mir klar, auf welche Weise man Engpässe vermeidet. Ich will keine Namen nennen; einige Kollegen könnten mich verklagen; ihre schwarzen Gelder ruhen längst auf Konten in Zug oder Zürich.
B. praktizierte Heilfasten, kochte selbst seine wässrigen Suppen mit blumigen Namen und machte einen schönen Schnitt.
L. lehrte den Positiven Impuls, egal, gegen welche Leiden, verknüpft mit Atmen nach Feldenkrais oder Dürckheim; ein anderer setzte auf Kreative Grenz-Erfahrung und eroberte mit Rollen-Spielen (immer in Gruppen, das war lukrativer) das opulente Reich der Phobiker, der Nervösen und der Neurastheniker, auf seine Verfahren möchte ich nicht eingehen, sie könnten mir einmal nützlich sein.
Die Praxis in der Droysenstraße (nach einem erfolglosen Gastspiel in der Margaretenstraße im Grunewald mit den üblichen Placebos) ging etwas besser, weil ich eine neue Kombination erfand – Grenzerfahrungen – sie mussten nicht kreativ sein, die
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