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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Erschöpfung schon beim Besteigen des nächtlichen Bettes. Spoerri belebte sich kaum merklich.
    Ich sei, sagte er, eben ein ausgebrannter Fall.
    Mein lieber Dr. Spoerri, sagte ich streng, da müsse ihm schon was Besseres einfallen, denn diese Erschöpfung, erzeugt durch gutes Essen, falsche Therapien, üble oder unausgedachte Verschreibungen, die Schweizer Luft oder alles zusammen, verwirre und reduziere meine intellektuelle Kapazität.
    Sie sollten das Burn-Out-Syndrom nicht verachten, sagte Spoerri, Millionen leiden darunter. Es liege an der Hypophyse, die wegen der Hysterie des Hypothalamus –
    Reden Sie kein Latein, sagte ich, mir war das Problem wieder eingefallen.
    Mit meinen Synapsen und den Neurotransmittern sei etwas in Unordnung.
    Das sei normal, sagte Spoerri, Millionen –
    Unterlassen Sie die großen Zahlen, sagte ich; es ist so – ich schreibe, und dann fällt mir so viel auf einmal ein, dass die Gesamt-Masse der Formlosigkeit verfällt.
    Schon fatal, sagte der gute Spoerri, gehen Sie spazieren, lenken Sie sich ab, lieber Arthur, schauen Sie sich im TV einen Porno an … Ich hab hier einen sehr guten amerikanischen – The devil in Miss Jones , sehr saftig, aber auch literarisch mit einer echten Intrige zwischen einem Exorzisten und einer Nymphomanin, der Konkurrent sei ein Präsidentschaftskandidat während der Vorwahlen und –
    Doc, rief ich, stop. Sie gaben doch Monsieur Prussac eine Pille … eine Tablette … eine bestimmte. Prussac ist jetzt wie neugeboren, er liebt das Leben, er hat kleine Ansätze von Erektionen, und seine Erinnerungen steigen so reichhaltig aus seinem Schädel wie Champagnerbläschen in einem Spitzglas.
    Lieber nicht, sagte Spoerri, der Prussac hätte das gar nicht erzählen dürfen … diese Tablette … eine Frucht langer Laborarbeit in Nächten ohne … ich gab sie dem armen Prussac, weil er unter falschen Erinnerungen litt oder irreführenden … Er sollte zu seinem wahren Selbst kommen … einem endlich authentischen.
    Erstens, sagte ich, nehmen Sie den Ausdruck ‹authentisch› auf der Stelle zurück. Zweitens dieses Zitat für Sie von Savinio: «Der Mensch ist eine Bahre, der sein falsches Selbst transportiert», und drittens (ich stand auf): Ich will diese Zauberpille!
    Ich kriegte sie, keusch eingehüllt in eine Serviette unseres Bécasse noire.
    Die Wirkung, sagte Spoerri, sei manchmal formidable, die chemische Zusammensetzung noch nicht ganz ausgereift, die Nebenwirkungen mitunter überraschend, die Kontraindikationen leider nicht in längeren Zeiträumen überprüft, aber ich sei ein guter und braver Klient, und er wolle nichts unversucht lassen, meine Leiden zu lindern.
    Das ist, sagte ich zum Abschied, ein wahres Wort, des alten Hippokrates würdig.
    Wir schauten uns dann noch einmal ernst in die Pupillen, ich ging, nahm die Tablette, und alles war gut.

 
    98 Die Nebenwirkungen des speziellen Spoerri-Dopes sind minimal – gelber Stuhl (besser als grün), leichte Übelkeit in der Zwerchfellzone (erträglicher als Unterbauchschmerz) und eine Art von Hirnsausen, als liefe im Kopf ein winziger Elektromotor.
    Ich wartete auf die geistige Elevation, von der Prussac geschwärmt hatte. Nichts passierte.
    Ich wartete auf die Regeneration alter Erinnerungen mit goldenen Details, nichts passierte.
    Mir fehlten die signifikanten, d.h. die exakten Daten über die Trauerfeier für den Bulldog Anton, so dass ich zur Teezeit den lieben Prussac besuchte. Vielleicht war die Tablette für mich zu hoch oder zu niedrig dosiert. Bei Medikamenten kann man alles falsch machen.
    Fand Monsieur Prussac in unguten Zuständen, da war nichts mit trichotomischer Elevation von Körper, Seele und Geist. Wie es uns gehe, fragte ich …
    Wie man sagt im Deutschen, sagte Prussac – mies, marodiert, er träume von tombes, Gräbern, alles ist sinnlos … des Lebens dernier cri … Eine aliénation d’esprit. Ich werde mir eine Katze anschaffen. Er rollte sich auf seiner blutroten Chaiselongue zusammen und zog eine Decke unter das schlaffe Kinn.
    Merde, sagte er, mit médication, eine merde aussi les tablettes.
    Es habe einen hypomanischen Rückschlag bei ihm gegeben. Man nennt das, sagte ich verständig, besser eine hypomanische Nachschwankung; sie trete auf, wenn die depressive Phase durch die Antidepressiva beendet sei.
    Viel sei beendet, sagte Prussac, manches ende nie, und man solle erst gar nicht anfangen.
    Kryptische Sentenzen. Ich reichte ihm einen mit

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