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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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normalen wie Schlaflosigkeit oder chronische Müdigkeit reichten aus – versus Positive Impulse. Jeder Mensch hat eine Menge dieser Impulse; ich benutzte den Ausdruck ‹Schwingung›, der hat etwas Lebhaftes, und das Lebhafte kam bei meinen Probanden immer gut an. Auf hypnotische Techniken kam ich durch Zufall, als ich den Schmerzphysiologen Dr. Polsatt wegen eines lästigen Furunkels in der Leistengegend konsultierte. Der begabte Therapeut hatte sich eines Tages aus Versehen eigenhändig hypnotisiert; wie ich erfuhr, glaubte er nicht an Hypnose.
    Nach dem Besuch einer jungen Dame, die unter extrem starken Frauenschmerzen litt, hatte er während der Beschreibung ihres Leidens seine Bréguet-Uhr vor ihren Augen pendeln lassen – die Dame fiel (sollte dieses Verb korrekt sein) in einen Schlummer, und Dr. Polsatt ‹sprach sie an›, wie wir Therapeuten so sagen.
    Und er sprach zu ihr: Sie haben eigentlich gar keine Beschwerden, Sie sind eine Dame ohne Unterleib, Sie haben keinen Uterus, Sie werden schwerelos, alle Ihre lumbal ordinierten Organe verflüchtigen sich wie ein zarter Hauch … Sie haben nie wieder Schmerzen – und die Dame erwachte – der Doc weckte sie durch einen Kuss auf die Lippen –, und sie hatte nie wieder die bekannten Schmerzen.
    Eine Erfolgsgeschichte.
    Genial, sagte ich.
    Polsatt ließ sich ein Pendel aus Silber bei einem Juwelier anfertigen, und so war es gekommen, dass er sich in einer müßigen Minute selbst hypnotisierte; seine Helferin weckte ihn mit einer Ohrfeige.
    Der Mensch ist zum Leiden geboren und laboriert an seinen Schäden, bis er, endlich behandelt, saniert stirbt, schrieb ein berühmter Arzt. Albert Schweitzer? Camus? Keine Ahnung. Ich aber hatte die Menschen satt; ja, hätte ich auf Chirurg studiert oder Gynäkologie, da wären wesentliche, sozusagen existentielle Einschnitte in die menschliche Natur möglich gewesen unter den Fittichen des ethischen Eros, der erst die Relationen zwischen Angebot und Nachfrage, Nutzen und Kosten und nicht zuletzt – finalistisch gedacht – zwischen Sinn und Bedeutung stiftet. Man sollte jetzt einen Punkt setzen.
    Als mir das alles klar wurde, ließ ich die Praxis sausen und machte am Halensee einen letzten Versuch:
    Kommunikation – Verweigerung
    Therapie
    Für Mensch und Vieh
    Arthur Singram
    Mo–Sa 9–12, 15–19

 
    95 In den Tagen der vielen Besuche war Olgas Hund gestorben, und Passow lud mich zur Trauerfeier ‹in einem festlichen Rahmen› ein; da ich eine Schwäche für Pompes funèbres hatte, ging ich hin.
    Die Villa in einer Seitenstraße der Königsallee, Grunewald, gehörte der reichen Larissa Petrovna, deren edlem Windspiel Elvira ich einst eine Scheinschwangerschaft indiziert hatte.
    Nun stand Elvira Tamara von Hatzenfeld ausgestopft in der Eingangshalle auf einem mit schwarzem Samt bezogenen Brett; der Taxidermist Borst hatte sie in eine seelenvolle Pose gebracht – sie saß auf den Hinterkeulen, die Glasaugen gegen eine blau-weiß bemalte Kassettendecke gerichtet. Aus ihrem linken Unterlid perlte ein gelber Tropfen.
    Ein sehr dürrer und bleicher Passow in einem zu geräumigen Anzug führte mich in den Garten, in dem die Trauergemeinde wartete, ca. zehn Personen und ebenso viele Hunde, die schläfrig in die Mai-Sonne blinzelten. Manche saßen, manche standen, einige schliefen schon, wie die Gäste heimgesucht vom Daemon meridianus.
    Olga reichte mir eine tränenfeuchte Hand, Larissa, immer noch ein schönes beleibtes Frauchen, ließ sich die Hand küssen, was ich von Herzen tat, witterte ich doch langwierige Therapien, rekrutiert aus diesem hundereichen Cercle; alle adipös, die Hunde wie die Besitzerinnen. Die Herren waren in der Minderzahl – neben Larissa stand der Gatte, ein kleiner, feister Mann mit einem kugelrunden Riesenschädel, auf dem grauweißer Flaum wie eine Tonsur blühte; daneben hatte sich der Chauffeur Igor placiert, wie immer in seiner schwarzen Lederkluft, an der Leine einen dicken Pitbull, der triefte und sabberte. Ich diagnostizierte Appetit und eine reife Konjunktivitis.
    In der Mitte des englischen Rasens hatte man ein Loch gegraben; neben dem Loch stand ein Barhocker, auf dem eine kleine Tasche von Gucci mit Anton ruhte.
    Ist besser als Urne, sagte Larissa, dort er wird ruhen bis Jingste Gericht in Ewigkeit Amen.
    Hoffentlich, sagte sie zu Olga, ist Passow der Deine nicht wieder, wie er kann.
    Er wird sein, erwiderte Olga. Eine Art Bonmot und der Situation angemessen.
    Missen warten, sagte

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