Traveler - Roman
gefangen genommen worden waren, in die Forschungsabteilung eines
Konzentrationslagers gebracht wurden, deren Leiter der berüchtigte »Todesarzt« Kurt Blauner war. Den Gefangenen wurden Teile ihres Gehirns herausoperiert, und man quälte sie mit Elektroschocks und Kältebädern. Nachdem der Misserfolg der Experimente feststand, erklärte Himmler die Traveler zu »degenerierten, kosmopolitischen Elementen« und ließ sie von den Todesschwadronen der SS verfolgen.
Richardson begriff nicht, was er mit den kruden Forschungen der Vergangenheit zu tun haben sollte. Menschen, die in andere Welten zu reisen glaubten, litten unter abnormen Vorgängen im Gehirn. Theresia von Ávila, Johanna von Orléans und all die anderen Menschen, die behaupteten, mystische Erlebnisse zu haben, waren vermutlich Epileptiker mit Funktionsstörungen im Temporallappen. Die Nazis hatten sich natürlich geirrt. Diese Menschen waren weder Heilige noch Staatsfeinde; man musste ihnen bloß wirksame Psychopharmaka verschreiben und mit einer Therapie helfen, den emotionalen Stress durch ihre Krankheit zu bewältigen.
Als Richardson sich dem fünften Abschnitt zuwandte, war er froh, es nun mit den Ergebnissen von Experimenten zu tun zu haben, die unter Einsatz moderner neurologischer Diagnostik wie PET-Scans und MRTs gewonnen worden waren. Er wollte wissen, wer diese Experimente durchgeführt hatte, aber die Namen sämtlicher Wissenschaftler waren geschwärzt. Die ersten beiden Berichte stellten detaillierte neurologische Gutachten über Menschen dar, die aktive Traveler waren. Wenn diese Personen in Trance verfielen, dann versank ihr Körper in einen Zustand des Tiefschlafs. PET-Scans zeigten in diesen Phasen nahezu keine neurologische Aktivität, mit Ausnahme einer vom Hirnstamm kontrollierten Herzschlagreaktion.
Der dritte Bericht beschrieb ein Experiment an einer medizinischen Einrichtung in Peking, wo ein chinesisches Forscherteam ein Gerät namens Neuroenergiemonitor erfunden
hatte. Der NEM maß die biochemische Energie, die vom menschlichen Körper produziert wurde. Dadurch wurde bewiesen, dass Traveler in der Lage waren, für kurze Zeit die Form von Energie zu produzieren, die Lawrence Takawa »das Licht« genannt hatte. Die neurale Kraft war ungeheuerlich, sie war bis zu dreihundertmal stärker als der Strom, der üblicherweise im Nervensystem floss. Die anonymen Wissenschaftler vertraten die Ansicht, dass die Energie in Zusammenhang mit der Fähigkeit stand, in andere Welten zu reisen.
Das beweist noch gar nichts, dachte Richardson. Eine Energiewelle bemächtigt sich des Gehirns, und diese Menschen glauben anschließend, Engel gesehen zu haben.
Er blätterte um und las rasch den nächsten Bericht. Bei diesem Experiment hatten die chinesischen Wissenschaftler jeden der Traveler in einem sargähnlichen Kunststoffkasten eingeschlossen, der mit speziellen Messinstrumenten für die Überwachung der Energieaktivitäten ausgestattet war. Jedes Mal, wenn einer der Traveler in Trance verfiel, sonderte sein Körper einen heftigen Energieschub ab. Das Licht ließ die Messinstrumente ausschlagen, drang durch den Behälter und verschwand. Richardson suchte in den Fußnoten nach den Namen der Wissenschaftler oder der Traveler. Jeder der Berichte schloss mit ein paar Worten, die auf ihn wie eine beiläufige Bemerkung am Ende eines langen Gesprächs wirkten. »Versuchsobjekt wieder der Sicherheitsverwahrung übergeben.« »Versuchsobjekt nicht länger kooperativ.« »Versuchsobjekt verstorben.«
Dr. Richardson begann zu schwitzen. Die Luft im Zimmer war stickig. Offenbar funktionierte das Lüftungssystem nicht. Mach doch einfach das Fenster auf, sagte er zu sich. Die kühle Nachtluft wird dir gut tun. Aber als er die schweren Vorhänge zurückzog, stand er vor einer Mauer. Die Suite hatte keine Fenster, und die Tür war abgeschlossen.
ELF
A m südlichen Ende der Brick Lane befand sich ein bengalisches Hochzeitsgeschäft. Wer zwischen all den goldenen Saris und den pinkfarbenen Festdekorationen hindurchging, gelangte schließlich zu einem Hinterzimmer, in dem man sich ins Internet einloggen konnte, ohne zu riskieren, aufgespürt zu werden. Maya sandte verschlüsselte Nachrichten an Linden und Mother Blessing. Unter Verwendung der Kreditkartennummer des Ladenbesitzers gab sie Traueranzeigen in den Online-Ausgaben von Le Monde und The Irish Times auf.
Plötzlich und unerwartet in Prag verstorben: H. Lee Quinn, Gründer von Thorn Securities Ltd. Er
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