Traveler - Roman
hinterlässt eine Tochter, Maya. Anstelle von Blumen wird um eine Spende für den Traveler’s Fund gebeten.
Noch am Nachmittag desselben Tages entdeckte sie eine Reaktion darauf an einem schwarzen Brett der Harlequins, bei dem es sich um eine Ziegelmauer nahe des Bahnhofs Holborn handelte, die mit so vielen Graffiti übersät war, dass man unauffällig eine Nachricht hinzufügen konnte. Mit orangefarbener Kreide hatte jemand eine Harlequin-Laute gezeichnet und dazu eine Zahlenreihe und die Worte: Fünf/Sechs/Bush/ Green. Das war leicht zu verstehen: Die Zahlen verrieten Datum und Uhrzeit. Der Treffpunkt war 56 Shepherd’s Bush Green.
Maya schob ihre Pistole in die Tasche des Regenmantels und hängte sich den Schwertbehälter über die linke Schulter. Hausnummer 56 in Shepherds’s Bush Green entpuppte sich als ein Billigkino in einem Durchgang neben dem Empire Theatre. An diesem Nachmittag wurden ein chinesischer Kung-Fu-Streifen und ein Reisefilm mit dem Titel Zauberhafte Provence gezeigt.
Maya kaufte bei der schläfrigen jungen Frau an der Kasse eine Eintrittskarte. Neben der Tür zum Kino 2 hatte jemand drei ineinander verschlungene Harlequin-Rauten gezeichnet, also ging sie dort hinein und sah, dass der einzige andere Mensch in dem Saal ein Betrunkener war, der in der dritten Reihe saß. Als das Licht ausging und der Film begann, kippte der Kopf des Mannes nach hinten, und er begann zu schnarchen.
Der Film hatte nichts mit der Region Südfrankreichs zu tun. Eine kratzige Schallplattenaufnahme des Chansons J’ai Deux Amours ertönte, gesungen von Josephine Baker, und auf der Leinwand erschienen Berichte aus Fernsehnachrichten und historische Fotografien, die offensichtlich aus dem Internet stammten. Jeder Bürger, der zufällig in den Saal geraten wäre, hätte den Film als misslungene Montage aus Bildern von Leid, Unterdrückung und Terror abgetan. Maya hingegen begriff, dass es sich bei dem Film um eine verknappte Version der Weltsicht der Harlequins handelte. Der Inhalt der offiziellen Geschichtsbücher entsprach nicht der Realität. Die Traveler waren die einzige Macht auf der Welt, die Veränderungen anstrebte, und deshalb wollten die Tabula sie vernichten.
Jahrtausende hindurch wurden im Auftrag von Königen und religiösen Führern Menschen getötet. Gelegentlich tauchte ein Traveler auf und präsentierte eine Vision, die die Macht der Herrschenden bedrohte. Dieser Mensch gewann eine Gefolgschaft und wurde daraufhin beseitigt. Nach und nach verfolgten immer mehr Herrscher eine Strategie à la König Herodes. Wenn eine bestimmte ethnische oder religiöse Gruppe besonders
viele Traveler hervorbrachte, wurde jeder aus dieser Gruppe umgebracht, dessen man habhaft werden konnte.
Gegen Ende der Renaissance begann eine Schar von Männern, die sich die Bruderschaft nannte, diese Übergriffe zu organisieren. Aufgrund ihres Reichtums und ihrer guten Verbindungen gelang es ihnen, viele Harlequins zu töten und Traveler aufzuspüren, die in andere Länder geflohen waren. Die Bruderschaft diente Herrschern, aber sie begnügte sich nicht mit purer Machtausübung. Ihre Grundwerte hießen Stabilität und Gehorsam, und ihr Ziel war ein fest gefügtes Gesellschaftssystem, in dem jeder seinen Platz kannte.
Im achtzehnten Jahrhundert entwarf der englische Philosoph Jeremy Bentham das Panopticon: ein Gefängnis, in dem ein einziger Wächter Hunderte von Gefangenen kontrollieren und dabei unsichtbar bleiben konnte. Die Bruderschaft benutzte die Idee des Panopticons als theoretisches Fundament ihrer Bestrebungen. Sie glaubten, es werde möglich sein, die gesamte Welt zu kontrollieren, sobald die Traveler komplett ausgerottet waren.
Obwohl die Tabula Geld und Macht besaßen, hatten die Harlequins jahrhundertelang die Traveler erfolgreich verteidigt. Die Erfindung des Computers und die Ausbreitung des Systems änderten alles. Die Tabula verfügten nun über Mittel und Wege, ihre Feinde aufzuspüren und zu beseitigen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es weltweit mindestens zwei Dutzend aktive Traveler. Gegenwärtig existierte kein einziger mehr, und von den Harlequins waren nur noch eine Hand voll übrig. Obwohl die Bruderschaft das Licht der Öffentlichkeit scheute, war sie sich ihrer Sache inzwischen so sicher, dass sie eine Institution wie die Evergreen Foundation gegründet hatte.
Journalisten oder Historiker, die sich mit den Legenden über die Harlequins und Traveler beschäftigten, wurden eingeschüchtert
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