Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
Vom Netzwerk:
dachte nicht daran zu schreien, seine Kehle war wie zugeschnürt.
    Er schaffte es etwa bis zu dem Bild mit dem Titel ›Die wüsten Bräuche der Waldmenschen‹, als ein schwerer Aufprall auf seinen Rücken ihn zu Boden riß. Leise Worte drangen an sein Ohr: »Begegne der Schwester.« Dann schickte ihn ein grausamer Schmerz ins Jenseits.
    Liva schleifte den toten Sica an den Füßen ins Eßzimmer, eine breite Blutspur auf dem Flur hinterlassend. Er schloß die Tür und ging unzufrieden auf und ab. Das ganze Unterfangen war aus dem Ruder gelaufen und in eine wüste Schlachterei ausgeartet. Liva dachte, daß ein guter Plan wie ein gutgebautes Haus mit vielen Zimmern sei. Es war nicht nötig, eine Wand einzureißen, wenn man von einem Raum zum anderen wollte, man konnte eine Tür nehmen. Aber Marno hatte nun einmal eine Wand eingerissen, als er auf diesen difarverfluchten Zordaphero zu sprechen kam und dadurch die lange Planung zunichte und sofortiges Handeln nötig machte. Diese Nacht hatte einen Toten sehen sollen, nicht drei, schon gar nicht vier. Selbst an die Tat eines plötzlich rasend gewordenen einfachen Sklaven namens Liva würde niemand mehr glauben. Es sei denn …
    Liva starrte in das Gesicht des Mohakriegers. Bestimmt gab es etwas in Marnos Vergangenheit, das sein Ableben als Racheakt glaubwürdig erscheinen ließe. Angewidert verzog er die Lippen, als ihm ein Einfall kam. Die Tat wäre barbarisch, doch ganz Al’Anfa würde noch in Wochen darüber reden und rätseln, welchen schrecklichen Feind sich Marno geschaffen haben mochte, daß jener ein derart grausiges Ritual an ihm vollzogen hatte.
    Liva schälte Boromeo aus seinem Wams und bedeckte damit Marnos Gesicht. Er war nicht erpicht darauf, den Frevel mitanzusehen, den er begehen würde. Er schob die Hand mit dem Dolch unter den Stoff, setzte die Schneide an der linken Stirnseite des Toten an und zog drei tiefe Schnitte über das gesamte Gesicht, dann drei weitere quer dazu. Als der Dolch sich kurz in Marnos edlem Nasenbein verhakte, fiel Liva eine passende Erklärung für dieses Zerstörungswerk ein. So weit hätte er gar nicht in die Vergangenheit zurückgehen müssen, ein Tag reichte.
    Anschließend verließ er den Raum und schlich zu Boromeos Gemach. Die Sklaven hatten ihm gut genug erklärt, wo es zu finden war. Als er sah, daß er auf Schritt und Tritt blutige Spuren hinterließ, zog er seine Sandalen aus.
    Boromeos Tür war verschlossen. Liva wußte zwar, wie er sie öffnen konnte, aber es schien ihm nicht ratsam, es auf seine Art zu tun, da dies zu viele Spuren hinterlassen und die jetzige Variante des Mordmotivs – die des rachsüchtigen Sklaven – wieder vernichtet hätte. Also mußte es auf eine traditionellere Art geschehen. Er stieg die Stufen hinab, ging über die Höfe zum Werkzeugschuppen, wo er noch vor Tagen mit Querinia gelegen hatte, suchte sich ein passendes Werkzeug, dann eilte er wieder zurück ins Haus. Fast wieder an der Tür angekommen, hörte er ein Geräusch, leise tappende Füße. Er drückte sich in eine Nische und wartete, den Dolch fest umklammert. Es war die kleine Thesares.
    »Phex, unerbittlicher Richter der Nacht«, flehte Liva stumm, »du weißt, daß ich es tun werde, erspar es mir!« Als hätte das Kind sein Gebet gehört, drehte es sich um und ging zurück.
    Geschickt öffnete Liva das Schloß und betrat Boromeos Gemach. Er wischte sich die Hände an einem trockenen Stück seiner Kleidung ab und zog sich aus. Boromeo würde ihn mit einem neuen Gewand versorgen. Sorgfältig untersuchte Liva das Gepäck seines Opfers, ohne etwas Ähnliches wie die Kupferampulle im Eßzimmer zu finden. Doch er stieß auf etwas anderes: eine kleine runde Scheibe aus schwarzem Metall mit eingravierten Zeichen, scheinbar ohne Zusammenhang, nur eine Aneinanderreihung von Silben. Die Scheibe war aus Endurium. Das hatte Liva nicht in Boromeos Besitz erwartet. Das durfte nicht hier sein. Er steckte das Metall ein, verließ den Raum, ging geradewegs zu Imeldes Schlafgemach. Vor ihrer Tür ließ er eines seiner blutbefleckten Kleidungsstücke fallen. Es würde ein weiteres Rätsel in diesem Verwirrspiel abgeben.
    Nun gab es noch ein letztes zu tun, zwar unnötig, aber doch befriedigend. Ein weiteres Mal huschte Liva über die Höfe, genau zu Nestorios Hütte. Von drinnen kamen Schlafgeräusche. Schlaf tiefer, Nestorio, schlaf ganz tief, dachte Liva und sprach die Formel für einen zweiten Zauber, der den Schläfer noch inniger in Borons Arme

Weitere Kostenlose Bücher