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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Sklaven.
    Das Tischgespräch wurde hauptsächlich von Boromeo bestritten. Er erzählte von den Wundern Khunchoms und der Kleinstädtigkeit Neethas. »Dennoch verändert sich die Stadt, seitdem die Horas Drôl ihrem Reich einverleibt hat«, räumte er ein. »Das hat den Handel sehr belebt.« Mitunter mischten sich die Kinder vorlaut mit Fragen ein, die der Gast geduldig und ausschweifend beantwortete. Imelde war die meiste Zeit über still. Es reichte ihr, Boromeos Geschwätz über sich ergehen lassen zu müssen. Hätte sie selbst zum Gespräch beigetragen, so hätte sie zwangsläufig in seine unheimlichen Augen schauen müssen, die im Kerzenlicht wenig menschlich wirkten. Auch fand sie keine Freude an den ausgefallen gewürzten Speisen, der Sinn stand ihr nicht danach. So gab sie sich ganz ihrem derzeitigen Hang nach Süßem hin, nahm vom sirupgesüßten Brei, dem Gebäck; aß sie in sich hinein, diese Süße, diese köstliche Süße.
    Als das Ziehen in ihrem Unterbauch begann, erschien es Imelde als willkommene Gelegenheit, sich zu entfernen. Sie erhob sich, entschuldigte sich bei dem Gast und ihrem Gemahl, daß sie unpäßlich sei, und verließ mit den Kindern den Raum. Draußen im Gang lehnte sie sich schweratmend neben ein Bild ihres Großvaters. Wie froh sie doch war, daß der unerwünschte Eindringling dieses Mal kürzer bleiben würde. Sie ging mit den quengelnden Kindern weiter. Ihr war etwas übel, sie hatte zu viel gegessen. Plötzlich blieb sie stehen. Die ganze Zeit über hatte irgend etwas an Liva sie verwirrt. Jetzt wußte sie was es gewesen war: Er bewegte sich falsch. Offenbar trug er sein Korsett nicht. Vielleicht hatte es nicht zu der Pagenuniform gepaßt, aber dennoch, sie hatte es ihm nicht gestattet! Jetzt wollte sie kein Aufhebens darum machen, doch gleich morgen sollte er ihr Rechenschaft ablegen, dieser ungehorsame Bursche!
     
    »Was ist nun mit Khunchom?« begehrte Marno zu wissen. Nachdenklich drehte Boromeo seinen Pokal in den Händen. »Ich bin so etwas wie ein Unterhändler.«
    »Des Fürsten?«
    »Nein, von Leuten, die dort zwangsweise sind. Dahinter steht ein Plan des Patriarchen, nicht des Bastards, sondern seines Vaters. Es scheint an der Zeit, vor allem da das Neue Reich genügend beschäftigt ist im Norden wie im Südwesten …« Er unterbrach sich mit einem Blick auf die beiden Sklaven, die sich wie Schatten rührig bewegten oder stumm und regungslos verharrten: »Gedulde dich. Ich habe übrigens ein Angebot für dich, das du dir überlegen solltest …«
    Das Gespräch wandte sich einem anderen Thema zu. Marno erzählte, was sich im letzten Jahr in Al’Anfa zugetragen hatte, wer aufgestiegen oder gestürzt war. Boromeo kommentierte es mit genüßlichem Spott und wenig freundlichen Bezeichnungen für die Oberen der Stadt. »Die läufige Hündin«, war da zu hören oder »der korrupte alte Sack.« Als dieses Thema erschöpft war, unterhielten sich die beiden Männer über Vergangenes. »Erinnerst du dich noch an Zordaphero Vuxphez?« fragte Marno. »Nach all den Jahren hat er endlich von sich hören lassen.«
    »Sicher erinnere ich mich an den armen Zor.«
    »Wieso arm? Nach allem, was er schreibt, hat er es weit gebracht und ist, dank du Metuant, hoch aufgestiegen.«
    »So kann man’s nennen«, knurrte Boromeo. »Du Metuant hat ihn aufknüpfen lassen.«
    »Was sagst du da?«
    »Du weißt es nicht, wie? Sie nannten es Veruntreuung, als wäre das ein Grund. Ich meine eher, er wurde unserem wackeren Gubernator, diesem Windbeutel, zu einflußreich. Vier oder fünf Monde ist’s her«, erklärte Boromeo düster.
    Erschüttert starrte Marno auf seinen Teller und kaute auf der Unterlippe. Zordaphero war also hingerichtet worden. Möglicherweise war jener Brief sein letzter gewesen. Er überlegte rasch: Vielleicht hatte doch ein tieferer Sinn darin gelegen, ihnen diesen nichtsnutzigen Sklaven zu schicken. Andererseits, vier oder fünf Monde, so weit war Port Corrad doch gar nicht entfernt, daß der Brief und das Geschenk so lange unterwegs gewesen sein konnten … Marno blickte von seinem Teller auf, genau in Boromeos weitaufgerissene Augen, die ihn in fassungslosem Staunen anstarrten. Langsam, als gelte es, für jeden Wimpernschlag zu bezahlen, kippte Marnos Freund nach vorn und fiel mit dem Gesicht in den Teller mit Essensresten. Aus seinem Nacken ragte der Griff des Bratenmessers, hinter ihm stand Liva, der Hauslehrer.
    Dieser Unglückselige, schoß es Marno entsetzt durch den Kopf,

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