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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Sohn blickenden Frau die ganze Wahrheit zu sagen, daß wir nämlich bei diesem Unternehmen, und zwar erst vor ein paar Tagen, gleich sieben Menschenwesen kaltblütig vor das Angesicht Bruder Borons und Schwester Tsas geschickt hatten. Und diese schreckliche Wunde rühre wohl auch daher, meinte Raschids Mutter und deutete besorgt auf seine verschorfte Augenbraue. »Ja, ja«, bestätigten wir im Chor, weil wir ihr nicht eröffnen wollten, daß sie von einer Schlägerei in einer Taverne stammte, die ich zwei Tage zuvor sturzbetrunken dort angezettelt hatte.
    Danach wollte sie alles genauer wissen, also saßen wir stundenlang brav bei Raschids ehrwürdiger Frau Mama und logen, daß sich die Balken bogen. Noch heute wundere ich mich darüber, daß nicht sämtliche Türme Fasars mit hoffnungslos verzogenem Holzwerk in sich zusammenknickten. »Ihr Buben«, sagte Frau Mama schließlich, »ihr Buben!« So ist das mit den Eltern. Manchmal frage ich mich, ob es selbst bei den Herrschenden wesentlich anders zugeht. Ich wüßte gern, ob auch Prinzessin Emer, des mächtigen Reichsverwesers Gattin, unruhig wird, wenn ihre Schwiegermutter Alara, die Kaisermutter, zu Besuch kommt, ob sie ängstlich darauf achtet, daß die Dame ja nichts zu beanstanden hat, ob Alara ihrem Sohn liebevoll durch das Haar fährt, wenn er ihr von seinem letzten Zug gegen die Orkhorden berichtet, und ob er ihr auch davon erzählt, wenn er wieder einmal seine Reisigen und Söldlinge losgeschickt hat, jene Männer und Frauen zu erschlagen, die für die Befreiung meiner besetzten Heimat kämpfen. Allerdings ist Alara Alanfanerin; man mag es anders halten, wenn man aus dieser Stadt stammt, die die Seelen ihrer Sklaven bis auf die Knochen abnagt und nicht einmal ein Fetzchen jenes Stolzes und jener Würde übrigläßt, die Rur uns auf die lange Reise des Weltendiskus mitgegeben hat. Ich erinnere mich ungern an diesen Ort. Er macht mich anfällig für das Denken Zaborons.
    Ich will nicht so tun, als berühre mich die Politik unserer Rebellen wirklich, als mache es mir etwas aus, daß ein fremder Garethja die Insel beherrscht und kein Fürst in Jergan, der Tränenreichen, oder in Tuzak, der Lilienhaften. Maraskan hat immer zu viele Herrscher gehabt, das ist sein Leid. Uns aber, die Bruderschaft vom Zweiten Finger Tsas, gab es vor ihnen, unter ihnen und wird es – so hoffe ich – auch dann noch geben, wenn der Bethanier die Welt in den Abgrund gestürzt hat.
     
    Mein Gewerbe bringt es mit sich, daß mitunter sehr viel Zeit zwischen zwei Besuchen bei meiner Familie – meinen Eltern und meinen Geschwistern – vergeht. Im Laufe der Zeit hat sich für die ersten Tage nach meiner Ankunft ein Ritual herausgebildet. Es ist zwar nicht verwunderlich, daß meine Familie glücklich darüber ist, wenn ein zusätzliches Paar Hände für die Feldarbeit da ist, aber ich habe nie verstanden, warum die anstrengendsten Arbeiten, die das Leben eines maraskanischen Bauern zu bieten hat, immer gerade in den ersten beiden Tagen verrichtet werden müssen, nachdem ich in Tarschoggyn angekommen bin. Ich meine damit nicht etwa das Ziehen der Shatakknolle, sondern das Roden von Baumwurzeln. Es scheint dem alten Herrn eine geradezu diebische Freude zu bereiten, solche Knochenarbeiten für seinen ältesten Sohn aufzusparen. Wahrscheinlich befürchtet er, daß ich sonst hinter meinem Schreibpult verkümmere. Er hält mich nämlich für einen kleinen Sekretarius im Kontor eines Handelsherrn mit mehreren Filialen auf dem Festland. Aber vielleicht ist das auch seine Art, mir zu sagen, daß er an mich denkt und daß es immer noch einen Platz gibt, der auf mich wartet, auch wenn ich schon etliche Jahre nicht mehr hier lebe.
    Bisweilen habe ich den Verdacht, daß er mir meine Geschichte nicht ganz glaubt. Ich vermute, er argwöhnt, daß ich meinen Lebensunterhalt nicht ganz redlich verdiene und meine Hände in Schmuggelgeschäften habe, wie viele Maraskaner. Möglicherweise hält er mich auch für einen Kurier unserer zahlreichen Rebellengruppen. Ich schließe das daraus, daß er immer sehr besorgt wirkt, wenn ich wieder gehe. »Paß gut auf dich auf, Sedu«, pflegt er zu sagen. Aber vielleicht stellt er sich auch nur blind. Andererseits glaube ich nicht, daß meine Mutter ihm jemals die Augen geöffnet hat. Sie mag die Bruderschaft nicht und schon gar nicht meinen Großvater. Pardon, es ist eigentlich der ihre, aber ich habe ihn immer so genannt, seit dem einzigen Mal, da ich ihm während

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