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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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gestenreichem Getuschel beiseite. »Und wenn es stimmt, dann bist du nichts weiter als ein feiger Meuchler! Ja und?« knurrte einer der Verbliebenen in einer Mundart, die ihn als Fremden zu erkennen gab. Es kommt immer wieder vor, daß sich Festländer unseren Rebellen anschließen, vielleicht aus Abenteuerlust, vielleicht weil sie empfänglich sind für unsere Sicht der Welt. Trotzdem konnte ich ihm nicht erlauben, so mit mir zu reden.
    »Ich mag es nicht, wenn man mich so nennt«, antwortete ich und bohrte meinen Blick in seine Augen. »Schließlich nenne ich dich auch nicht Misthaufen, schließlich sage ich auch nicht, daß du unter dem Fladen eines Rindes hervorgekrochen bist gleich der Made einer fetten Fliege. Oder bist du das etwa doch, Bube?«
    Vielleicht begriff er, daß ich ihn reizen wollte, es mag auch sein, daß er den Griff des Nebenmannes um seinen Arm richtig zu deuten wußte, wonach er es nämlich ganz allein mit mir auszutragen hätte. Er tat jedenfalls nichts und rang mit seiner Selbstbeherrschung, worüber ich nicht unglücklich war, denn nicht alles, was sich leicht behaupten läßt, läßt sich auch leicht beweisen. Damit er aber ganz genau wußte, worauf er sich einließe, zeigte ich ihm die Nadel und erklärte ihm, wo sie seine Rüstung durchdränge, wenn mir danach wäre. Ich sagte ihm, wohin ich stäche, wenn er nach seinem Schwert griffe, wohin, wenn er es gezogen hätte, erklärte ihm, welche Auswirkungen es auf seinen Körper hätte und was ich als nächstes täte. Ich ahmte dabei den gleichgültigen Singsang des Mannes nach, von dem ich meine Fertigkeiten einst erlernt hatte. Selbst als mein Gegenüber verstanden hatte, daß ich genau wußte, wovon ich sprach, redete ich weiter, denn er sollte diese Lektion niemals vergessen, sollte immer daran denken, daß unsere Begegnung auch hätte anders enden können. Ich glaube, er hat in diesen wenigen Augenblicken mehr über die ungeheure Verletzlichkeit dieser schönen Leiber gelernt, die Tsa uns Menschen nach Rurs gütigem Willen geschenkt hat und schenken wird, als in seinem ganzen bisherigen Leben.
    Als die Rebellen uns meinen verschreckten Neffen gebracht hatten, den sie nicht über Gebühr mißhandelt hatten, und wir gehen konnten, brauchte ich kein weiteres Wort über die Zukunft zu vergeuden. Ich befand mich schließlich in meiner Heimat, und ich hatte ihnen nachdrücklich genug verdeutlicht, daß ich oder die Bruderschaft sie überall finden würden, wenn sie jemals wieder die Finger an Muldijian legen sollten.
    Der Heimweg durch die Nacht verlief schweigsam und in gedämpfter Stimmung. Schließlich sagte ich: »Ich bin immer noch dein Bruder, Radda.« Sie antwortete erst einige hundert Schritt später: »Weiß er es?« Sie meinte damit unseren Vater. »Nein«, antwortete ich. Nach weiteren hundert Schritt: »Und sie?« Ich blieb stehen und grinste. »Selbst wenn sie nicht seine Enkelin wäre – gab es jemals etwas, das unsere Mutter nicht herausfand?« Rahjajida schüttelte den Kopf und lächelte zurück. Es war ein erzwungenes Lächeln und wirkte unnatürlich im schwachen Licht des Mondes. Ich wußte, woran sie dachte, wie viele Leben ich beendet hatte, wie viele Menschen ich erstochen, erdrosselt, vergiftet oder mit Magie getötet hatte. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen, ihr zu sagen, daß es mehr waren, als sie wahrscheinlich vermutete, daher kam ich ihr zuvor. »Ich bin immer noch dein kleiner Bruder, Radda, ich war es, und ich werde es immer sein.« Meine Worte rissen die Hecke nieder, die zwischen uns ihre Ranken geschlagen hatte. Wir nahmen uns fest in die Arme. Ich fühlte die Zerbrechlichkeit ihres Körpers, fühlte den Körper ihres Sohnes, der uns beide umschlungen hielt. Ich mußte daran denken, was ich dem Garethja-Rebellen heute abend gesagt hatte, und begann zu weinen. Nicht um derentwillen, die ich getötet hatte, da sie mir wahrscheinlich genausowenig bedeuten wie einem Maran der Hase, den er schlägt, sondern wegen der Zukunft, die ich kannte, wegen der Prophezeiung von der Rückkehr Borbarads, der mit seinen dämonischen Heerscharen über Maraskan und die Welt herfallen würde. Seine Kreaturen würden nicht nur Leben nehmen, sie würden die Seelen ihrer Opfer selbst versklaven und verschlingen, mit sich dorthin reißen, wo Tsa ihnen kein neues Leben würde schenken können, so daß sie niemals wiedergeboren würden, um die Vierundsechzig Fragen des Seins zu ergründen oder gar ihre Antwort zu erfahren. Er

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