Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
Vom Netzwerk:
brachte. Scheïjian erhob sich, steckte den Dolch weg und ging zum Ausgang. Er blieb stehen, den Rücken seinem Opfer zugewandt. »Da wäre noch etwas. Wir hatten eine Abmachung, und ich pflege derlei einzuhalten …« Er unterbrach sich, als er ein Geräusch von hinten hörte, breitete die Arme aus, so daß die leeren Handflächen nach oben zeigten, und winkte sacht mit den Fingern: »Versuch es! Du bereitest mir eine Freude.« Er wartete, doch kein weiteres Geräusch war zu vernehmen. Er fuhr herum und fauchte den Handwerker an, der sich wieder erhoben hatte: »Das Gold!«
    »Ich habe es nicht mehr!« beteuerte Firold. »Schließlich habe ich sie verpflegt.« Wie aus dem Nichts sprang das Messer wieder in Scheïjians Hand: »Dann bezahlst du mit deinem Wanst! Ein halber Stein von dir für jeden Dukaten. Ist’s so recht? Mein Messer ist leider nicht sehr scharf, doch das macht wohl nichts.« Er setzte einen Fuß vor. Der Kerzenzieher fiel auf die Knie, kroch in eine Ecke seiner Werkstatt und begann rastlos zu wühlen. Gleich darauf reichte er seinem ungebetenen Gast ein schweres klimperndes Säckchen.
    »Ich zähle später nach«, verabschiedete sich der Besucher mit einer unterschwelligen Drohung und ging.
     
    Woher die Straße der Zwei Brunnen mit den schlanken Palmen in der Mitte ihren Namen hat, weiß niemand zu sagen, denn es gibt dort keine Brunnen, lediglich an dem der Stadt abgewandten Ende eine Zisterne. Hier standen und posierten die jungen Männer und Frauen, deren einzige Ware sie selbst waren, hier saßen die Bettler und Krüppel, kleine Holzschälchen vor sich, Krücken neben sich oder einen besonders Versehrten und mitleidheischenden Körperteil entblößt. Scheïjian entdeckte Querinia ein wenig abseits. Sie stand unauffällig da, als gehöre sie nicht hierher, als wäre sie nur durch einen absonderlichen Irrtum an diesen Ort geraten. Die blonden Haare bedeckten das Gesicht wie ein Vorhang.
    »Es tut mir leid«, sagte der junge Mann, »ich dachte, du seist bei dem Kerzenzieher in guten Händen.«
    »Ich will nicht zurück«, kam ihm Querinia zuvor und strich sich die Haare so weit aus dem Gesicht, daß Scheïjian das eine Auge sowie einen Teil der breiten, ausgefaserten roten Furche sah, die sich quer über ihr Gesicht zog.
    »Das mußt du auch nicht«, erklärte er bestimmt, »ich werde jemand anderen für dich finden.«
    »Ich will niemand anderen!« fuhr ihn Querinia an. »Ich will überhaupt niemanden! Ich will zurück, zurück nach Al’Anfa!« Sie wurde leiser: »Es ging mir gut dort, ich war glücklich.«
    Scheïjian schüttelte den Kopf. »Es ging dir weder gut, noch warst du glücklich! Und was täten sie wohl mit dir, wenn du jetzt zurückkehrtest? Querinia, glaub mir, du kannst es dir nicht ausmalen!«
    Sie flüsterte: »Es macht mir nichts aus zu sterben«, und schüttelte wild die Haare, so daß ihr Gesicht bloßlag und die eingefallene Augenhöhle und das häßlich verwachsene Gewebe zeigte. Die Narbe sah nicht besser aus als die frische Wunde, sie hatte nur eingelöst, was jene versprochen hatte. »Schau mich doch an«, jammerte Querinia, »der Kerzenzieher hat es oft genug gesagt, und er hat recht! Die Leute erschrecken, wenn sie mich sehen! Ich will zurück, es schreckt mich nicht zu sterben. Es wäre mir sogar recht. Das ist kein Leben, Liva. Ich wünschte, ich wäre tot! Ich wünschte, ich wäre tot!«
    »Aber der Schmerz würde dich schrecken!« zischte Scheïjian scharf. Querinia schwieg, dann kam es fast unhörbar über ihre Lippen: »Ich habe dir immer vertraut, Liva. Du wirst mir nicht weh tun. Du hast gesagt, es sei dein Gewerbe.«
    Er antwortete ebenso leise: »Ich habe dir auch gesagt, daß ich dafür bezahlt werde. Hast du inzwischen mehr als acht Heller?«
    Sie griff in ihren Ausschnitt und fingerte einige Silbermünzen hervor. »Mehr habe ich nicht, mehr kann ich dir nicht geben. Sei mein Freund.« Damit streckte sie ihm die Hand entgegen und sah ihm in die Augen. Deren Ausdruck war so kalt und bösartig, daß sie sich zusammenreißen mußte, um nicht davonzulaufen. »Komm mit«, befahl Scheïjian mit flacher Stimme.
     
    Zwei Stunden später überquerte er den weitläufigen ummauerten Park, in dessen Mitte das Gebäude stand, hinter dessen verschwiegenen Mauern das Wesen wohnte, auf dessen Geheiß seit Jahren die Männer und Frauen der Bruderschaft vom Zweiten Finger Tsas auszogen, um anderen Männern und Frauen, die nicht mehr für sie waren als ein paar Namen, den

Weitere Kostenlose Bücher