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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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verstanden haben, denn sie schrie auf und hätte sich um ein Haar auf die Sprecherin gestürzt. Ich hielt sie mit Mühe zurück. »Überlaß das Verhandeln mir!« rief ich ihr in Erinnerung.
    Ich überlegte, was zu tun sei. Ich hätte einen Zauber wirken können, und falls die fünf vor mir und die zwei, die ich hinter uns vermutete, keine Erfahrung im Erleben von Magie haben sollten, hätte wahrscheinlich ein beliebiger Spruch ausgereicht, um ihnen einen derartigen Schrecken zu versetzen, daß sie vor uns geflohen wären. Ich hätte mir dann einen von ihnen schnappen können, der mir ganz gewiß erzählt hätte, wo der Junge steckte. Wenn aber Magie nichts Ungewohntes für sie war, wären sie allesamt über uns hergefallen. Ich weiß zwar meinen Dolch zu führen, aber ich bin kein Krieger.
    Oder wir hätten uns zurückziehen können, um den Fren’Chirajas später heimlich zu folgen und den Jungen des Nachts zu befreien, möglicherweise um den Preis, eine oder zwei ihrer Wachen der Schwester begegnen zu lassen. Allerdings hatte ich keinen Streit mit ihnen, auch konnte ich nicht für immer zu Hause bleiben. Sie würden ein andermal zurückkommen, wenn ich nicht daheim war. Schließlich das Freikaufen. Es mochte gelingen oder nicht. Abgesehen davon, daß ich nur wenige Dukaten im Dorf deponiert hatte, mochte das Angebot ihre Gier wecken. Die Grenze zwischen Freischärlertum und Räuberei ist bei uns fließend. Am Ende würden sie das Gold nehmen und den Jungen dennoch töten.
    Auf dem Boden, gleich vor meinen Füßen, sah ich einen Braunen Gefährten. Er lag auf dem Rücken und zappelte hilflos mit den Beinchen. Wahrscheinlich hatte ich das Käferchen versehentlich umgetreten. Man erblickt diese Tierchen nur alle paar Jahre, wenn sie ihre Brautzeit haben, ansonsten sind sie wie vom Erdboden verschwunden. Wenn aber eines dieser Käferjahre gekommen ist, dann sieht man sie grundsätzlich in Paaren. Das Weibchen geht voraus, das Männchen folgt ihm in gleichmäßigem Abstand. Sie sind nie weiter als einen Schritt auseinander, aber auch nie näher als einen Spann beieinander. Niemals. Ich weiß nicht, wie sie es trotzdem schaffen, sich zu vermehren. Sie sind ziemlich gedrungen und sehen aus, als könne ihnen nichts anhaben. Als ich klein war, hatte eine meiner Spielgefährtinnen behauptet, daß man sich sogar mit dem ganzen Gewicht auf sie stellen könne, ohne daß den Kerlchen daraus ein Schaden entstünde. Ich habe es jahrelang geglaubt. Es stimmt nicht. Ich war danach sehr enttäuscht. Bis vor zweihundert Jahren gab es sie nicht auf Maraskan, niemand weiß, wie sie auf unsere Insel gekommen sind.
    Ich schaute mich um in der Richtung, woher der Käfer gekommen war und wohin er hatte krabbeln wollen, bis ich den anderen entdeckte. Vor mir zappelte offenbar das Männchen. Ich gab dem kleinen Burschen einen Schubs, damit er seinen Tribut an Schwester Rahja und Schwester Tsa noch zollen könne, und faßte dann die Anführerin ins Auge. Ich hatte beschlossen, die Tatsache auszunutzen, daß ich auf Maraskan zu Hause war, zumal mir eingefallen war, woher ich ihre Gefährtin kannte.
    »Ihr werdet mir den Jungen bringen. Ich fordere es«, sagte ich.
    »Und wer glaubst du zu sein, junger Mann, daß du so ein großes Maul führst?« fragte die Anführerin spöttisch.
    Ich sagte es ihr: »Ich bin Scheïjian, achtbares Mitglied der Bruderschaft vom Zweiten Finger Tsas. Ich will den Jungen. Jetzt.«
    Ich merkte, wie ihnen die Worte in die Knochen fuhr. Es gibt verständlicherweise nicht viele Gelegenheiten, wo wir uns zu erkennen geben.
    »Das kann jeder behaupten«, beharrte die Anführerin halbherzig. Sie war bestimmt eine mutige Frau, doch es gibt einige Mythen über uns, die wir hegen und pflegen. »Deine Gefährtin in der Garethja-Rüstung wird es bezeugen«, entgegnete ich. Die Betreffende starrte mich verständnislos an, also half ich nach: »Ich sah dich in Boran, der Heiligen, als Feruderan von den Roabern starb.« Etwas unsicher schaute sie zwischen ihrer Anführerin und mir hin und her, dann entgegnete sie gedehnt: »Und? Er stürzte berauscht aus dem Fenster und brach sich das Genick. Das ist kein Geheimnis.«
    »Er fiel kaum drei Schritt, Schwester, er hatte wirklich großes Pech«, entgegnete ich mit meiner sanftesten Stimme. »Aber du standest nahe genug bei seiner Leiche, um den Stich in seinem Hinterhaupt zu sehen, nicht wahr, Schwester? Du erinnerst dich doch?«
    Das tat sie wirklich. Sie zog ihre Anführerin zu

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