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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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und sein unheiliges Gefolge würden die Welt vernichten, die ich kannte, auch wenn ich nicht hoffe, daß Rur es zulassen wird, daß Gror dereinst nur eine öde Scheibe aus Fels und Staub empfängt. Das indes konnte meine geliebte große Schwester nicht wissen, als sie mich im nächtlichen Wald in den Armen hielt, ihr Kinn gegen mein Haupt drückte, mir mit der Hand über den Nacken strich und murmelte: »Sedu, Sedu.«
    Am nächsten Tag sprach ich mit meiner Mutter und sagte ihr, ich wolle, daß unsere Familie Maraskan verlasse. Ich erzählte ihr fast alles, was ich über Borbarad wußte. Ich erzählte ihr von jenen, die fielen, als der Dämonenmeister vor vierhundert Jahren von Rohal ins Nichts gestoßen wurde, wo nichts leben kann und leben darf, von seiner dennoch bevorstehenden Rückkehr, von der ich vor knapp einem Jahr aus einer Offenbarung der Heiligen Rollen unseres Glaubens erfahren hatte. Ich schilderte, nicht ganz der grausamen Wahrheit entsprechend, was ich über Borbarads widernatürliches Gefolge wußte, über die Schrecknisse, die über uns kommen würden.
    »Gibt es eine Zuflucht vor ihm?« fragte meine Mutter. Ich sagte, ich wisse es nicht, aber es habe deswegen einen Bruch in der Bruderschaft gegeben, damit der Zweite Finger die Abtrünnigen gewähren lasse, so zu handeln, wie sie es selbst für richtig hielten, und daß diese Aufbegehrenden einen Pakt mit der Priesterschaft unseres Glaubens eingegangen seien, um einen Zufluchtsort zu finden.
    »Haben sie ihn gefunden?« fragte sie. Ich verneinte es, erläuterte, man habe sechzehn Männer und Frauen, Priester und Mitglieder der Bruderschaft ausgeschickt, diesen Ort zu suchen, wo immer er in der Welt sich finden möge. Sobald man ihn gefunden habe, sollten zweitausend Frauen, Männer und Kinder Maraskan verlassen, um dort die dunklen Zeiten zu überleben. Ich versicherte ihr, auch wenn sie es nicht wissen wollte, daß Endijian, der Führer der Abtrünnigen, mich jederzeit bei den Seinen wohlwollend begrüßen und – wen immer ich auch mitbringe, an diesem Ort aufnehmen werde, da er meinen Wert kenne.
    »So gehst du nicht mit ihnen?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich.
    »Und er?« Ich schaute sie fragend an.
    »Du weißt, wen ich meine«, sagte sie. »Was plant er?«
    Ich vermied den Ausdruck ›Großvater‹ und sagte lediglich: »Der Zweite Finger hat sich nie geäußert. Aber ich nehme es nicht an. Er ist ein alter Mann. Vielleicht ist es Starrsinn, vielleicht Stolz.«
    »Sedu«, stellte meine Mutter schließlich die Frage, vor der ich mich fürchtete, »glaubst du selbst, daß es diesen Ort gibt?«
    Ich wich aus: »Ich kann dir nur sagen, was in den Heiligen Rollen steht: ›Viele suchen Schutz vor dem Angesicht der Nacht, meiden den einzigartigen Gast.‹ Diese alte Schrift ist unklar und vieldeutig. Allein dieses ›vor‹ kann schon zweierlei bedeuten: ›Sie suchen Schutz vor etwas‹ oder ›Sie suchen Schutz, bevor das Angesicht der Nacht sich zeigt!‹ Wer will da eine Antwort geben?«
    »Scheïjian!« erklang die Stimme meines Vaters, dessen Kommen ich nicht bemerkt hatte. (Wieviel hatte er mitangehört?) »Deine Mutter hat dich etwas gefragt: Glaubst du selbst daran?«
    Ich bin ein ausgebildeter Magier, auch ohne Gildenzeichen. Ich beherrsche meine Theorie, bin bewandert in der Historie. Ich bin kein Dämonologe und weiß keine Pforten in den Limbus zu öffnen, doch ich kenne in etwa die Vorgehensweisen, nach denen Dämonen beschworen und vertrieben, nach denen die Pforten geöffnet und verschlossen werden. Ich habe von der Macht der Magiermogule gehört, von der viel größeren der Echsenherrscher, die sich angeblich selbst die Zeit unterwerfen konnten. Doch warum es einen Ort geben sollte, den Borbarad nicht erreichen würde, leuchtete mir nicht ein. Ich antwortete ehrlich: »Manchmal kommt es mir vor wie die Suche nach einem einzelnen Jiranstrauch im Hochwasser des Hira. Ich weiß nicht, ob sie ihn finden.«
    »Und dafür sollen wir diese Insel verlassen, wo alle vor uns seit Jahrhunderten gelebt haben? Wo alle gestorben sind, die ich kannte und nicht kannte, bis auf meinen Vater? Nein, Sedu, nein!«
    »Ich möchte nicht, daß ihr für die ganze Familie entscheidet«, sagte ich.
    »Das haben wir nicht vor«, entgegnete mein Vater. »Sie sollen wählen.«
    Am nächsten Tag verließ ich mein Dorf, einen der wenigen Orte, wo ich beinahe der sein kann, der ich bin.
     
     
     

 
     
    Zwei Tage später schlenderte

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