Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
Vom Netzwerk:
Scheïjian über den Markt von Tuzak, durch das Gewirr der Stände und kleinen Zelte, wo lautstark die Früchte aus Feld, Wald, Fluß und Meer feilgeboten wurden. Er trug die Tracht eines maraskanischen Bauern: eine weitärmelige Jacke in verschiedenen Tönen von Ocker, vorn geschnürt und bis zur Mitte der Schenkel reichend; darunter die orangefarbene Pluderhose, die kurz unter den Knien gamaschenartig mit Bändern in komplementärem Grün umwickelt war; nicht wie üblicherweise Sandalen, sondern die seitlich aufgeschlitzten Stiefel eines wohlhabenderen Bewohners der Insel. Bisweilen blieb er stehen, befühlte die angebotene Ware, wechselte ein paar Worte mit dem oder der Anpreisenden oder kaufte eine Frucht für geringes Geld.
    Etwas länger hielt er bei einem von staunenden Kindern belagerten Stand inne, wo die Überreste eines am Morgen gefangenen Malmers feilgeboten wurden, jenes großen Krebstiers, das in seiner Wut selbst ein Boot zu versenken weiß. Vier Schritt habe er gemessen, erklärte die Fischerin stolz und ließ sich ausführlich darüber aus, wie sie das schwergepanzerte Tier gefangen hatte. Scheïjian hörte aufmerksam zu, auch als das Gespräch den Fang des Malmers lange verlassen und sich der Familie der Fischerin zugewandt hatte, ihrer Tochter, die eine fleißige Seilergesellin sei, und ihrem Sohn, dem kürzlich ein weiteres Kind geboren worden war. Erst als ein ernstlich kauffreudiger Kunde kam, ging er weiter.
    Sein eigentliches Ziel war jenes Viertel der Stadt, wo die Holzhäuser niedriger wurden, die Luft nach Rauch und Gerberlohe roch und das silberne Klingen der Schmiedehämmer ertönte. Er ging an den Schmieden vorbei zur Werkstatt des Kerzenziehers Firold. Es war düster in dem Gelaß, und Scheïjian mußte sich einen Weg durch die Vorhänge aus Schnüren und wächsernen Kolben bahnen, die an Rädern von der Decke hingen. Als der Handwerker den dunklen Umriß des Eingetretenen gegen das Licht des Tages sah, hieß er ihn willkommen: »Preise die Schönheit, Bruderschwester! Tritt ein, schau dich um, einen wohlfeileren Ort hättest du nicht finden können!«
    »Ich bin des Mädchens wegen da«, sagte Scheïjian und trat aus dem Licht, so daß ihn der grauhaarige Mann erkennen konnte. Firold sah ihn kurz aus zusammengekniffenen Augen an und wandte sich dann wieder dem Bottich mit blasenwerfendem Wachs zu, als wäre er noch immer allein.
    »Sie ist nicht mehr da«, brummte er.
    »Was soll das heißen?«
    »Was ich eben sagte, sie ist weg. Leid ist’s mir nicht darum, denn sie vertrieb mir die Kundschaft, häßlich, wie sie war.«
    »Ich habe dich bezahlt«, wandte Scheïjian ein, jedes Wort abwägend. »Ich habe dir gesagt, daß sie in vielem hilflos und unselbständig ist wie ein Kind. Ich habe dich geheißen, für sie zu sorgen und sie dein Handwerk zu lehren. Du nahmst mein Gold gern dafür. Fällt dir nichts Besseres ein?«
    Der Handwerker drehte sich um: »Ich habe dir gesagt, was ich zu sagen hatte, nun troll dich!« Darauf langte er nach einem der langen Paddel, mit denen er sonst das heiße Wachs rührte. Plötzlich schnellte Scheïjians Fuß vor und traf ihn mit der Stiefelspitze in den Unterleib. Als der Kerzenzieher stöhnend vornüberkippte, fuhr Scheïjians Hand in seinen Schopf, riß hart daran, so daß der Grauhaarige mit Schwung durch die Werkstatt geschleudert wurde und mit einem dumpfen Laut gegen eine Wände prallte, wo er zusammensackte. »Du Dreckskerl, du difarverfluchter Hund«, wimmerte er und verstummte schlagartig, als er die scharfe Spitze des nadelartigen Dolches auf der Haut spürte. Nicht fest genug, um sie zu ritzen, aber fest genug, daß Firold den scharfen Stahl fühlte, fuhr Scheïjian mit der Spitze der Klinge langsam an Firolds Augenbraue entlang, die Nase hinunter bis zu den Lippen und zurück. Er brachte sein Gesicht dicht an das des Kerzenziehers und drohte in heiserem Flüstern: »Bruderloses Geschöpf, antworte und antworte gut, denn so wahr ich Scheïjian heiße, wenn du mich belügst, wird deine Visage noch schrecklicher aussehen als die des Mädchens. Bei Phex, dem nächtlichen Richter: Wo ist sie?«
    »Sie ist … Sie ist in der Straße der Zwei Brunnen … Ich habe sie weggeschickt, acht Tage her!«
    »Dort, wo die Bettler, Dirnen und Buhlknaben sind?« fragte Scheïjian in einem freundlichen Ton, als spräche er mit einem alten Freund.
    »Ja«, bestätigte der Mann und stöhnte gleich darauf auf, als ein feiner Schnitt seine Oberlippe zum Bluten

Weitere Kostenlose Bücher