Treibgut - 11
alles zu glauben, was man sagt.« Sie verfiel in nachdenkliches Schweigen.
»Ich verstehe nicht ganz, was dir daran nicht gefällt«, nahm Scheïjian den Faden wieder auf.
»Daß man uns belächelt«, antwortete die Frau bitter, »und daß es nicht zu Unrecht geschieht. Vor einigen Jahrhunderten versuchte ein Fürst dieses Landes, Frieden zwischen uns und Andergast zu stiften. Seine eigene Schwester stürzte ihn deshalb und bestieg anschließend unter seinem Namen den Thron. Sie nannte sich ebenfalls Andaryn II und wurde Zeit ihres Lebens als Fürst angesprochen, niemals als Fürstin. Niemand wunderte sich darüber damals oder heute. So ist dieses Land. Es bestraft jeden, der mit mehr als einigen Krümeln der Gaben Hesindes geboren wurde. Sobald seine Andersartigkeit entdeckt wird, formt sich eine Meute, die sich gegen ihn zusammentut. So ist es immer gewesen, und nichts hat sich daran geändert.
Vor mehr als einem Jahr habe ich eine ziemlich weite Reise bis ins Almadische und danach ins Bornische unternommen. Ich habe gesehen, daß es überall Dumpftröpfe, Toren und Neider gibt, doch nirgends scheinen sie so erfolgreich zu sein wie bei uns oder unseren verfeindeten Schicksalsgefährten. Es ist wie ein Preis, den wir für dieses Land bezahlen müssen. Bisweilen denke ich, daß die Thorwalschen Glück hatten, daß sie sich rechtzeitig zurückgezogen haben. Ich mag nicht glauben, daß Hesinde uns Nostrier verachtet. Manchmal denke ich, es liegt nicht an den Einwohnern dieses Landes, es liegt an dem Land selbst. Es übt diesen Einfluß aus, es macht seine Bewohner so, wie sie sind. Sag etwas dazu!«
Ohne zu zögern, antwortete Scheïjian: »Meine Glaube bestreitet derlei, denn Rur schuf die Welt überall schön und vollkommen. Allerdings gibt es glücklichere Plätze, weil er sie berührt hat, als er den Weltendiskus warf, und Einzigartigkeiten, die …«
»Nostria ist nicht das Land deines Rur«, unterbrach sie ihn sanft.
Scheïjian lächelte. »Gibt es Löwinnen in euren Wäldern?«
»Nein, warum?«
»Dennoch verehrst du die Löwin, wie ich gesehen habe. Ich hatte hierüber einst eine Debatte mit einem Freund.«
Sie wischte einige unsichtbare Krümel von ihrer Decke. »Rondra ist auch Donner und Sturm, beide gibt es überall. Aber es waren nicht Glaubensdinge, die ich mit dir besprechen wollte. Vielmehr wollte ich wissen, was ein Magier dazu sagt: Kann das Land eine eigene Macht haben und Einfluß ausüben?«
Scheïjian kratzte sich am Kopf und verfiel in lebhaftes Gestikulieren. »Es gibt sicher Orte, wo die astralen Ströme stärker oder schwächer sind als anderswo. Manche gelten als besonders geeignet für Beschwörungen, bei anderen wird empfohlen, sie zu meiden. Auch gibt es Orte, wo die Sphären dichter beieinanderliegen.«
»So dicht, daß sie sich berühren, gar überlappen und man mühelos zwischen ihnen hin- und herwechseln kann?« fragte seine Zuhörerin rasch nach.
»Keine Ahnung. Ich habe nie über derlei nachgedacht. Es ist auch ein schwieriges Gebiet, zumal es …«
Scheïjian brach ab. Das Bett knarrte ein wenig, als Rondriane sich erhob, um sich anzukleiden. Den Rücken ihm zugewandt, sagte sie dabei: »Es kümmert mich nicht, warum du es verbirgst, jedoch dachte ich, ihr trügt immer ein Gildenzeichen. Es fiel mir bereits gestern auf, denn bisweilen sprichst du wie mein Neffe, wenn er sich daran erinnert, daß er ein Absolvent der Akademie von Bethana ist und kein nichtsnutziger Raufbold. Der Maler heißt Geljan Sewarzkis, er ist Bornländer, sehr beliebt zur Zeit. Sein Atelier liegt in der Nähe des Travia-Tempels. Du wirst ihn leicht finden. Ich würde dich selbst hinführen, hätten wir nicht demnächst das Turnier. Sieh es dir an, bevor du zurückreist. Es ist eines unserer großen Ereignisse.«
Scheïjian hatte sich von der Überraschung erholt und erhob sich ebenfalls. Er ärgerte sich über seine Leichtfertigkeit. »Ich werde keine Zeit haben, da mich mein weiterer Weg nach Salza führt.« Die Frau drehte sich um und sah ihn forschend an. Wieder hatte sie diesen undeutbaren Augenausdruck. »Warum?«
»Wegen einer unserer Priesterinnen. Sie wird vermißt, und wie wir wissen, wollte sie nach Salza reisen.«
Er beschrieb Xanjida, so gut er es mit seinem beschränkten Wissen vermochte, und fragte Rondriane, ob sie von ihr gehört habe. Sie verneinte und sagte: »Ist das der wirkliche Grund für dein Hiersein?«
»Nein, aber der, den ich nannte. Aber da ich nun einmal hier bin
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