Treibgut - 11
…«
»Welchen Weg wirst du nehmen?«
»Es soll eine Straße entlang der Küste geben.«
»Ja, über Trontsand. Und wenn du in Salza gewesen bist? Hast du noch andere Ziele?«
Scheïjian sah sie nachdenklich an. Diese Fragen entsprangen nicht nur reiner Neugier, sie wollte auf etwas Bestimmtes hinaus, wie schon am Abend zuvor. Jeder Muskel ihres Körpers verriet es.
Er lächelte: »Es geht mir wirklich nicht um Nostria und eure Geheimnisse. Ich kenne dein Land kaum. Wäre es nicht einfacher, du rietest mir, wo ich nicht hingehen soll, Schwester?«
Der Ausdruck schien sie zu belustigen. Sie antwortete: »Sag dem Hund, wo er nicht nach dem Knochen graben soll. Bleib einfach an der Küste, geh nicht in den Osten. Bist du allein hier?«
»Nein. Eine Priesterin begleitet mich.«
Rondriane runzelte die Stirn: »Ein Bild, das verschwindet und doch ankommt, eine Hochgeweihte, die deswegen einen Boten ans andere Ende der Welt schickt, einen Mann, der viel mehr ist, als er scheint, und der begleitet wird von einer Geweihten. Und beide suchen eine weitere Geweihte, die in einem Land verschollen ist, das so weit von ihrem eigenen entfernt liegt, daß hier kaum jemand seinen Namen kennt. Erstaunlich! Irgendwann wirst du mir alles erklären.« Sie stockte, eine traurige Leere legte sich auf ihr Antlitz. »Es ist wegen des Habichts, nicht wahr? Es gibt ihn wirklich, und ihr habt ebenfalls seinen Flügelschlag gehört.«
Scheïjian seufzte und drückte ihren Arm. »Wenn Rur die Zukunft gekannt hätte, hätte er uns nicht die Zwölfgeschwister mit auf den Flug gegeben. Aber er hat es immerhin getan. Laß mich wissen, wenn dich deine Meute zu sehr hetzt, Rondrajida. Ich habe eine sehr geschickte Hand bei Verhandlungen.«
Suchend schritt Scheïjian durch die engen Sträßchen mit ihren zweistöckigen spitzgiebligen Häusern und den Blumenkästen vor den Fenstern. Manche der Straßen waren gepflastert, manche waren es einmal gewesen, und nur ab und zu erinnerten noch abgetretene Steine an den einstigen Belag. Scheïjians Gedanken verweilten bei dem kürzlichen Gespräch, bei den eigenartigen Fragen, die ihm Rondriane von Sappenstiel gestellt hatte. Ihm wurde bewußt, wie seltsam jede Erklärung für sein Hiersein klingen mußte. Er suchte etwas, das hier nicht hingehörte, so weit weg vom Land der Zwillingsgötter, und wie er meinte, auch schon recht dicht am Rande der Länder der Zwölfgötter. Zugleich gab es ihm zu denken, daß er nach Tarrad nun schon den zweiten Menschen auf dieser Reise getroffen hatte, der das Kommende vorausahnte. Offenbar gab es starke Vorzeichen, auf die er nicht geachtet hatte, da er zu der wachsenden, aber immer noch kleinen Schar von Menschen gehörte, die nicht nur ahnten, was kam, sondern es wußten. Seine Züge verhärteten sich, als er darüber nachdachte, wieviel weitere dieser Ahnenden es noch geben mochte. Nicht alle würde die Rückkehr des Dämonenmarschalls mit Furcht erfüllen, viele würden sie begrüßen und wären freudig bereit, sich ihm anzuschließen und zu unterwerfen. Um ihres Vorteils willen würden sie bedenkenlos die Welt vergessen, die ihnen Rur geschenkt hatte, ohne daß es ihnen überhaupt in den Sinn käme, daß sie etwas opferten. Sie würden nur nehmen, wie es die Art ihres Herrn war. Scheïjian tastete nach seinem Dolch, spuckte aus und nickte: Ja, Zaborons Lehre war eine Versuchung.
Ihm fiel auf, daß er gänzlich vergessen hatte, Milhibethjidas Geschenk im Schloß zu hinterlegen. Er erwog, noch einmal zurückzukehren, als er eine der beiden Paginnen Rondrianes ein Stück hinter sich entdeckte. Sie stand da und wartete. Er ging zurück, gab ihr das Päckchen und setzte seinen Weg fort. Sie folgte ihm. Schließlich sprach Scheïjian sie an: »Wenn Ihr schon meine Nähe sucht, Schwester, dann könntet Ihr mich auch zu dem Maler führen, da Ihr Euch im Gegensatz zu mir in dieser Stadt auskennt.«
Sie schüttelte den Kopf: »Das entspricht nicht meinen Befehlen.«
»Es entspricht nur Euren Befehlen, mir zu folgen, wie?« entgegnete er gereizt. »Nun, wenn Ihr Euch unbedingt aufführen wollt wie ein Gefährtenkäfer, dann kann ich Euch nicht daran hindern.«
»Ich weiß, was ein Gefährtenkäfer ist!« behauptete sie eisig.
»Das bezweifle ich sehr, Schwester«, antwortete Scheïjian bissig und ging weiter. Er fragte sich, ob sie weiterhin genauso an ihm haften würde wie Ishajid.
Das Atelier des Malers Geljan Sewarzkis befand sich in einem hallenartigen
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