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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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hölzernen Anbau hinter einer der protzigen Scheinfassaden. Zwei Wände waren bedeckt mit Reihen von Gemälden, gegen eine dritte lehnte sich schräg ein Stapel weiterer. Vor der vierten stand vor einem überdimensionalen, wenigstens fünf Schritt hohen und noch lange nicht vollendeten Bildnis ein Gerüst, auf dem ein gebeugter Greis mit der Gelenkigkeit eines Muglukkenaffen herumturnte. Aberdutzende von Kerzen und Talglichtern tauchten den Raum in anheimelnde Wärme. Außer dem Greis befanden sich noch drei weitere Menschen in dem Raum, junge Burschen mit farbverschmierten Leinengewändern und Käppchen auf dem Kopf, die konzentriert und fleißig ausmalten, was ihnen ein anderer grob auf ihre Holztafeln und Leinwände skizziert hatte. Sie schienen die Schüler des Malers zu sein.
    Scheïjian sprach einen von ihnen an. Der Bursche deutete auf das Gerüst und flüsterte ehrfürchtig: »Der Meister ist gerade inspiriert, Ihr könnt ihn jetzt nicht stören«, und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Scheïjian trat zu dem Gestell und betrachtete nicht weniger ehrfürchtig als der Gehilfe des Malers die im Entstehen begriffene riesige Frauenfigur. Allein ihr zeigender Arm würde, fertiggestellt, fast zwei Schritt messen. Jeder Muskel war sorgfältig herausgearbeitet. Bewundernd ließ Scheïjian den Blick zwischen dem Bildnis und seinem eigenen Arm hin- und herpendeln. Probeweise bewegte er die Finger und beobachtete sein eigenes Muskelspiel. Er stellte fest, daß man mit diesen zusätzlichen Muskeln, mit denen allein der Unterarm auf dem Bild ausgestattet war, die erstaunlichsten Bewegungen ausführen könnte. Jeder Dieb würde sich darüber freuen, denn mühelos könnte er die Finger bis zum Handgelenk zurückbiegen, wahrscheinlich sogar darüber hinaus. Scheïjian grinste in sich hinein und dachte: Zum Glück hat sie nicht solche Muskeln.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, brüllte er zu dem alten Maler hinauf: »Großvater Geljan, auf ein Wort!« Ein faltiges Gesicht blickte verblüfft auf ihn herab. Es verzog sich zu einem zahnlosen Lächeln, dann kletterte der Maler vorsichtig eine Leiter herunter. Er war ein Männchen, sicher zwei Spann kleiner als Scheïjian. Auch er hatte ein Käppchen auf dem Haupt, jedoch mit einer Quaste daran. Scheïjian vermutete, daß diese Quaste das Unterscheidungsmerkmal zwischen Meister und Schüler war. Derlei war nützlich zu wissen, falls er selbst einmal einen Maler verkörpern müßte. Immer noch verschmitzt grinsend, sagte Meister Sewarzkis: »Nur ein Maraskaner kann so respektlos sein. Habe einige gekannt in Festum. Konnte sie nie leiden. Haben alle keine Ahnung von Kunst! Was willst du, Junge?« Trotz seiner Worte blickte er freundlich drein.
    »Ich komme wegen des Gemäldes, das Ihr für den Prinzen Kasparbald maltet«, erklärte Scheïjian.
    Geljan knurrte: »Das ist noch nicht fertig. Wird auch nicht eher fertig werden, wenn man mir meine Zeit mit Fragen verphexisiert.« Er verfiel in ein keifendes Falsett: »Meister Sewarzkis, habt Ihr nicht endlich das Bild fertig? Habt Ihr nicht dies, habt Ihr nicht das? Sewarzkis ist kein Krakenmolch, Junge, er hat nur zwei Arme! Muß man eben Obacht geben und sich Bilder nicht stehlen lassen.«
    Scheïjian begriff: »Ich meine nicht die Kopie des Bildes, sondern das Original.«
    Ein zorniges Funkeln trat in die Augen des Malers, und sein Körper richtete sich zu der imposanten Größe von fast anderthalb Schritt auf. Empört zischte er: »Sewarzkis kopiert nicht, Sewarzkis schöpft!«
    Scheïjian wartete, bis Sewarzkis sich beruhigt hatte, und teilte ihm mit, daß das geraubte Bild doch noch seinen Weg nach Tuzak gefunden habe. Der Maler nahm die Neuigkeit mit mißtrauischem Gesichtsausdruck zur Kenntnis. Als er jedoch erfuhr, warum Scheïjian ihn aufgesucht hatte, verfinsterte sich sein Gesicht erneut. Ein dumpfes Grollen kam über seine Lippen, und zwar in einer Lautstärke, die man dem kleinen Mann nicht zugetraut hätte. »Sewarzkis malt keine haarigen, bärtigen Frauen!« tobte er. »Meine Frauen sind schön, anmutig und muskulös!« Wie von einem Hornissenschwarm gejagt, rannte er zu einem der Bilderstapel und zerrte ein paar Gemälde heraus. »Haare? Junge, siehst du Haare?« brüllte er. »Anmut und Muskeln! Keine Haare!«
    Scheïjian betrachtete die Bilder genau. Es waren Vorstudien zu dem Werk, das ihm Milhibethjida gezeigt hatte, die in der Sorgfalt ihrer Ausarbeitung dem späteren Original nur wenig nachstanden, sowie

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