Treibhaus der Träume
eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen.
Da war zunächst der sensationelle und von der Fachwelt laut belachte Bericht Lorentzens in der ›Chirurgischen Wochenschrift‹ erschienen: ›Über Transplantationen zur Deckung von Tätowierungsdefekten – oder – Wie man eine Viermastbark versenkt‹.
Man hatte zunächst den unwissenschaftlichen Untertitel nicht zulassen wollen, aber als die Redaktion den Operationsbericht gelesen hatte, gab es gar nichts anderes: Der Artikel erschien so.
In hundertfünfzig Ländern lachten die Ärzte Tränen über Rosa Ballek. Das aber schmälerte nicht den wissenschaftlichen Wert der Arbeit, im Gegenteil, die Materie der Tätowierungsdeckung war so blendend abgehandelt, daß Lorentzen viele Briefe bekam. Sogar aus dem tiefsten Afrika, von einem farbigen Arzt, der in Deutschland studiert hatte und sich mit der Schönheitsoperation an Stammesnarben beschäftigte.
Der Name Lutz Lorentzen wurde über Nacht überall bekannt. Auch einen Spitznamen hatte er schnell, wegen der Schiffsversenkung: Der Torpedo-Arzt.
Diese Popularität tat Heberach körperlich weh. In seiner Klinik wetterte er gegen seinen Schwiegersohn mit vermehrtem Gift.
»Das sind Gauklerstückchen!« schrie er bei einem Kolleg. »Ist die Medizin ein Zirkus und der Chirurg ein Clown? Ist es akademische Würde, mit den Krankheiten der Patienten Witze zu machen? Wo ist hier die Würde des Arztes? Meine Damen und Herren, das sind Verfallserscheinungen. Das sind Gammlertöne! Wir aber wollen doch unserem Stand im Ernste des Hippokrates leben!«
Es half dem alten Giftzwerg nichts mehr: Die Almfried-Klinik und ihr Chef, Dr. Lorentzen, wurden ein Begriff in der medizinischen Welt. Wirklich über Nacht, wie ein Komet, stand sein Name am Himmel der Medizin.
Als der streng wissenschaftliche Artikel der Heinzel-Operation erschien, war der Ruhm Lorentzens gefestigt. Er erhielt für das kommende Jahr Einladungen von sechzehn in- und ausländischen Universitäten, über seine Methoden und Erfahrungen zu dozieren.
Das war der zweite schwere Schlag für den alten Heberach.
»Das Mittelmaß war schon immer führend, weil es blenden konnte!« sagte er voll Galle bei einer Oberarztbesprechung. »Ein Näschen korrigieren, ein Öhrchen anlegen, ein Brüstchen straffen … das sind doch Kinkerlitzchen! Er soll mir beweisen, ob er einen guten Anus praeter setzen kann. Ob er eine Restemphysemhöhle ausräumen kann! Ob er eine Herznaht machen kann! Aber einer dicken Frau zwanzig Pfund Fett wegschneiden, das kann jeder Metzger!«
Schlag Nummer drei kam aus München. Der Endbericht der Ärztekammer, vertraulich verschickt an alle Ordinarien.
Eine Lobrede auf Lorentzen. – Ein Hymnus.
Eine glänzende Rehabilitierung.
Heberach zerriß den Bericht und schrie: »Ein Arschwisch ist er wert! Auch die hat er eingewickelt! Ist denn die ganze Welt blind? Sehe nur ich klar?«
Man ließ ihn jetzt in Hamburg gewähren. Man lernte bei ihm artistische Operationstechnik, das erkannte man an – aber wenn er gegen seinen Schwiegersohn zu Felde zog, wurden alle Ohren taub.
Heberach war noch nicht so senil, dies nicht zu merken. Er lächelte böse, wenn seine Oberärzte geduldig zuhörten, und er dehnte gerade, weil sie nicht zuhören wollten, die Gespräche über Dr. Lorentzen so lange aus, bis ihre kargen Freizeiten herum waren.
Die Heberach-Geschädigten, nannten sie sich.
Als der Alte dies erfuhr, tobte er allein in seinem Zimmer wie ein Irrer. Er kam sich von allen verraten vor. Er fühlte sich als letztes Opfer Lorentzens. Meine Tochter hat er getötet, schrie er sein Spiegelbild an. Du bist der nächste!
Und dann verfiel er. Zusehends. Von Tag zu Tag. Er schrumpfte zusammen. Er dorrte aus. Wie eine Mohrrübe in der Sonne, sagte man.
Mitte Dezember war es fast erschütternd, mit anzusehen, wie er am OP-Tisch stand, seinen I. Oberarzt operieren ließ und den jungen Ärzten mit heller Greisenstimme jeden Handgriff erklärte. Nur einmal kam der alte König durch: Als der I. Oberarzt einmal einen falschen Griff machte, herrschte ihn Heberach an: »Aufpassen, Mensch! Wollen Sie Gehacktes schaben?«
An einem sonnigen, kalten Nachmittag ließ er sich, wie jeden Tag, von seinem Chauffeur nach Hause fahren. Er stieg in seinen Wagen, lehnte sich in die Polster zurück und klopfte dem Chauffeur auf die Schulter.
»Fahr langsam, Max. Ich will die Elbe genießen …«
Max brauchte über eine Stunde bis zum Hause Heberachs.
Der Professor
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