Treibhaus der Träume
sah hinüber zur Klinik. Er stutzte und wies mit ausgestrecktem Arm auf den in der Sonne weiß blendenden Bettenbau.
Vom flachen Dach aus, an zwei dicken Bergseilen, ließ sich gerade eine weiße Gestalt auf einem Brett über das Sims gleiten und ruckte abwärts. Genau über dem Balkon von Zimmer 22 mit dem geheimnisvollen Gast schwebte die Gestalt abwärts.
»Das ist doch Adam!« rief Lorentzen. »Zum Teufel, was macht der Kerl für verrückte Kletterpartien? Was will er an der Hauswand?«
»Vielleicht ist etwas kaputt?«
»An der Fassade? Unmöglich!«
Lorentzen gab Marianne die Hand. »Wann sehen wir uns allein?« fragte er. »Schnell … ich muß hinüber zu diesem Turner. Wann, Marianne?«
»Wir könnten am Sonntag ausgehen. Zu dritt …«
»Darüber sprechen wir noch. Sieh dir den Adam an. Seilt sich ab wie ein Bergsteiger. Jetzt hängt er fest.« Lorentzen begann zu laufen. Aber bevor er durch das Gartentor auf das Grundstück der Klinik lief, drehte er sich noch einmal um.
»Bin ich zu alt für dich?« rief er zurück. »Dann sag es ehrlich, Marianne –«
»Du bist ein Kindskopf!« gab Marianne zurück und drehte sich um.
Als Lorentzen die Klinik erreichte, hing Dicki zwischen der dritten und vierten Etage und klammerte sich an seinem Brett fest. In seiner Not hatte er das Seilende um das rechte Handgelenk gewickelt. Kläglich sah er zu Lorentzen hinunter.
»Wohin, Nanga-Parbat-Bezwinger?« schrie Lorentzen hinauf. »Los, weiter!«
»Das Seil ist zu kurz! Chef, ich habe mich verrechnet.« Adam Czschisczinski stemmte sich von der weißen, blendenden Wand ab. Schweiß tropfte ihm über das Gesicht. »Und rauf kann ich auch nicht! Irgendwas klemmt am Kamin.«
»Wo wolltest du denn hin?«
Dicki starrte hinunter auf den Balkon von Zimmer 22. Er sah nur den großen Sonnenschirm und darunter zwei nackte Männerbeine. Das was er sehen wollte, blieb ihm wieder verborgen.
»Da war ein Fleck an der Wand!« keuchte Dicki.
»Wo?«
»Er ist weg! Eine Luftspiegelung, Chef!« Er verdrehte die Augen und krallte die Finger um das Seil. »Kann mich jemand raufziehen? Ich komme um vor Hitze …«
Unter dem Sonnenschirm von Zimmer 22 rührte sich etwas. Dicki starrte mit flimmernden Augen hinab. Aber nur die Beine verschoben sich. Eine Hand, ein Arm … er winkte zu Lorentzen hinunter, und Lorentzen winkte zurück. Und dann die Stimme des Unbekannten:
»Ihr Hausmeister verwandelt sich auch noch in eine Fliege, um in mein Zimmer zu kommen.«
»Das ist ein Irrtum, Chef! Ein Irrtum! Der Fleck war deutlich zu sehen. Ein runder Fleck!«
Lorentzen nickte ihm lächelnd zu. Er überzeugte sich, daß Dicki nicht abstürzen konnte, wenn er sich ruhig verhielt. »Vielleicht kommt er bei der Dämmerung wieder!« rief er hinauf und ging dann ins Haus. Dickis kläglicher Schrei: »Chef! Chef!« erstarb mit dem Zuschnappen der Tür.
Drei Stunden lang ließ Lorentzen Adam an der Hauswand hängen, bis er Mitleid hatte und drei Krankenpfleger ihn wieder zurück aufs Dach zogen. Ohne ein Wort, schwankend, mit trüben Augen schlich sich Dicki auf sein Zimmer. Einen ganzen Tag blieb er im Bett und spielte den Todkranken. Erst als er sah, daß sich niemand um ihn kümmerte, wurde es ihm zu langweilig; er stand auf, zog seine weiße Uniform an und war plötzlich wieder im Garten bei seinen Blumen und nach dem Mittagessen auf dem Dachbalken der alten Scheune, wo er die Filmschauspielerin Mia Holden völlig ohne im Sonnenbad liegen sah. Es war ein Anblick, der Adam sehr verwirrte. Er verlor eine Illusion. Der berühmte Busen der Holden lag neben ihr im Gras. Aus Schaumgummi.
»Das ist ja Betrug!« sagte Adam auf seinem Aussichtsbalken. »Das weiß der Chef auch noch nicht. Der kann ihr doch 'ne richtige Brust machen. Der kann doch alles, der Chef …«
Brav und geduldig, wie es Lorentzen angeordnet hatte, verhielt sich Ursula Fohrbeck. Nachdem er ihre Haut abgeschliffen hatte, lebte sie nur im Schatten, verließ bei Dämmerung ihr Zimmer und genoß die Tage der Ruhe und der Hoffnung unter einem dichten Sonnensegel auf dem Balkon. Zweimal besuchte Marianne sie, starrte in das verkrustete, schorfige Gesicht und sprach hinterher sorgenvoll mit Lorentzen.
»Ich habe Angst, Lutz. Unter diesen Krusten bilden sich Narben. Die Akne hast du weggeschliffen, aber ihr Gesicht wird übersät sein mit lauter kleinen, weißlichen Kratern.«
»Sie wird eine schöne, glatte, reine Haut bekommen.« Lorentzen sagte es so sicher, daß es Marianne
Weitere Kostenlose Bücher