Treibhaus der Träume
glaubte, obwohl sie innerlich nicht davon überzeugt war. Es wird sein erster Fehlschlag sein, dachte sie mit Schrecken. Und gerade bei Ursula Fohrbeck, bei der von dieser Operation die ganze Zukunft abhängt … ihre Ehe, die Geborgenheit ihrer Kinder, ihre Liebe …
Jeden Vormittag, wenn die Post von St. Hubert heraufkam – sie wurde jetzt früher gebracht, weil der Zusteller Xaver Primmler ein Motorrad bekommen hatte –, wurde Ursula Fohrbeck unruhig.
Schrieb Ewald wieder? Kam er nach St. Hubert?
Oder würde ein Brief kommen: Es hat keinen Zweck. Lassen wir uns doch endlich scheiden. Ich liebe meine Sekretärin …
Eine Woche nach dem Abschleifen der Gesichtshaut brachte Dicki auch für Ursula Fohrbeck einen Brief. Obwohl es Schwestern genug gab, hatte sich Adam Czschisczinski dieses Briefeaustragen vorbehalten. Bei den Herren bekam er stets ein Trinkgeld, wenn er Briefe brachte, die nach Parfüm dufteten und nicht von den Ehefrauen stammten. Bei den Damen bekam er Trinkgeld, wenn die Ehemänner schrieben und sich auf ein Wiedersehen freuten. Vormittags um elf Uhr war Dicki ein lieber Engel, der Wohlgefallen in die Zimmer trug.
Nun war es soweit: Ewald hatte geschrieben. Glücklich und doch ängstlich saß Ursula Fohrbeck auf der Liege unter dem Sonnensegel und hatte den Brief ungeöffnet im Schoß liegen, als Lorentzen zur Visite eintrat.
»Was schreibt er?« fragte er gleich an der Tür. Schwester Frieda hatte ihm zugeflüstert: »Der Brief ist da.«
»Ich weiß nicht.« Ursula sah zu Lorentzen hinüber. Sie nahm die breite Sonnenbrille ab. Ihr verschorftes Gesicht war wie eine mit ausgebleichtem, rotem Konfetti beworfene Maske.
»Sie haben den Brief noch nicht aufgemacht?«
»Nein, Herr Doktor. Ich habe Angst.«
»Die ist nicht mehr nötig. In fünf Tagen nehmen wir den Schorf herunter.«
»Vielleicht hat er geschrieben, daß es keinen Zweck hat …«
»Warum denken Sie immer so pessimistisch, Frau Fohrbeck?« Lorentzen nahm den Brief aus ihrem Schoß und schlitzte ihn auf. »Darf ich?«
»O ja. Bitte. Lesen Sie vor!«
Lorentzen überflog den Brief und schüttelte dann den Kopf. »Nein«, sagte er leise. »Das ist nur für Sie bestimmt. Den Klang dieser Worte sollen nur Sie im Ohr haben. Sehen Sie mal … ein Bild liegt bei …« Er holte aus dem Kuvert eine Fotografie. Ewald Fohrbeck im Garten mit den Kindern. Sie lachten übermütig und trieften vor Wasser. Kurz vor der Aufnahme hatten sie sich mit dem Gartenschlauch naßgespritzt.
Mit zitternden Händen nahm Ursula Fohrbeck das Bild. Ihr ängstlicher Blick wurde weich, alle Mütterlichkeit glitt in diese blauen Augen, und dann zuckten ihre Lippen, und ihre Schultern bebten.
»Sie … sie sehen so gesund aus …«, stammelte sie. »So herrlich gesund … O Doktor …« Das Bild fiel aus ihren Händen. Sie senkte den Kopf und bedeckte das schorfige Gesicht. »Was schreibt er … Nur einen Satz, Doktor. Bitte … Kommt er?«
»Ja, er kommt!«
Lorentzen legte den Brief zurück in ihren Schoß und verließ leise das Zimmer.
An diesem Tag kam Ursula Fohrbeck nicht zum Mittagessen in den Gemeinschaftssaal.
Und jeder verstand das.
Der stille Kampf gegen die Dirne Marion Stellmacher, die es gewagt hatte, sich auch drei Wochen auf der Schönheitsfarm einzumieten, ging weiter. Frau Maiselhans war nicht abgereist, wie sie gedroht hatte. Als sie sich allein sah, von ihren Kolleginnen im heikelsten Moment verlassen, machte sie eine völlige Kehrtwendung. Zum Entsetzen der anderen Damen, die sich im Speisesaal nicht mehr in die Nähe von Marion Stellmacher setzten und sogar im Kosmetikkeller fragten: »Hat hier vor mir die Stellmacher gesessen? Ja? Fräulein, was erlauben Sie sich, mir die gleiche Liege anzubieten! Ich möchte im Nebenraum massiert werden. Ich lege mich doch nicht auf die gleiche Liege, auf der vorhin diese … diese Person … aber nein!« – also zum blanken Entsetzen dieser Damen reichte Frau Maiselhans ostentativ der Ausgestoßenen die Hand und ließ ihr eigenes Essen an deren Tisch bringen. Frau Nitze kommentierte es im trauten Kreise mit gehässigem Wimpernschlag: »Naja, die Maiselhans. Ihr Mann geht seit Jahren fremd. Wenn man so aussieht wie die …«
Frau Maiselhans, vertraut mit den internen Geheimnissen der Farmdamen, war es auch, die Marion Stellmacher einen wertvollen Tip gab. Sie tat es, als Unbekannte eine männliche Unterhose an Marions Tür hefteten, was Ilse Patz veranlaßte, die Damen in der Turnhalle um sich zu
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