Treibhaus der Träume
versammeln und zu sagen:
»Wenn solche Dinge noch einmal vorkommen, bin ich leider gezwungen, den Kurvertrag mit Ihnen allen fristlos zu lösen. Ich glaube, daß keine von Ihnen die rechtliche Lage anzweifeln wird. Bisher war unsere Farm immer eine große Familie. Wir sind hier Menschen, weiter nichts. Uns kümmern keine Titel, Namen und Berufe. Uns kümmern nur zehn Pfund Speck zuviel, schlaffe Haut und die Folgen eines falsch gelebten Lebens. Ich bitte Sie, meine Damen, das einzusehen.«
Am Abend, als im Fernsehraum eine Operette gezeigt wurde, einige Damen Patiencen legten oder Briefe schrieben und dazu Fruchtsäfte oder einen leichten, sauren Moselwein tranken, fuhr Marion Stellmacher mit ihrem riesigen Straßenkreuzer nach St. Hubert. Niemand war auf der Schönheitsfarm in seinen Freiheiten beengt. Es gab keinen Zapfenstreich, keine Sperrstunde, keine Kontrolle. Ob man um 11 Uhr abends aus dem Kino kam oder um 4 Uhr morgens aus einer Bar – keiner fragte danach.
Die Mitleidslosigkeit aber begann am Morgen. Um 7.30 Uhr wurden die Damen geweckt, ganz gleich, wann sie ins Bett gekommen waren. Ein freundliches Mädchen im weißen Kittel mit den goldenen Initialen AF weckte, zog die Bettdecke weg, entkleidete die noch gähnende Damen und begann, mit einem rauhen Luffaschwamm erst die Vorderseite und dann die Hinterseite von den Zehen bis zum Hals abzunibbeln. Anschließend rieb das Mädchen den so aufgeweckten Körper mit einer Flüssigkeit aus Franzbranntwein und ätherischen Ölen ein, es brannte höllisch, aber erzeugte eine angenehme, wohlige Wärme, das Blut floß in die kleinsten Äderchen, der Körper zitterte vor Wonne. Und dann wurde man wieder zugedeckt und konnte weiterdösen bis zum Frühstück um halb neun, das auf einem Tablett ins Zimmer getragen wurde.
Frühstück im Bett – ist das allein nicht schon ein erfüllter Traum von Millionen Frauen?
In St. Hubert stellte Marion ihren auffälligen Wagen hinter einer Scheune ab und ging zu Fuß ins ›Kurviertel‹. Dieses bestand aus einem Marktplatz mit zwei Cafés, drei Wirtschaften und einer ›Bar‹, einem Bauerntheater, einem Kurhaus, das dem Bürgermeister gehörte und in dem getanzt wurde, und einem Minigolfplatz, der unglücklich lag, denn gleich hinter dem zwölften Hindernis begann der Misthaufen vom Zimmerbauer, dem reichsten Mann von St. Hubert.
Das war das offizielle Kurviertel. Neben diesem gab es noch ein illegales Kurviertel, etwas außerhalb von St. Hubert, in einem Neubaugebiet, wo sich ein Motel mit fünfunddreißig Zimmern angesiedelt hatte. ›Forellenklause‹ hieß das Ganze, aber in den Teichen schwammen längst keine Forellen mehr, sondern fanden mitternächtlich die Parties statt, von denen Dicki den Herren in der Klinik erzählt hatte. Nach dem Fahrplan neureicher Lustbarkeit ließen sich biedere Männer in den Teich fallen und hüpften vornehmen Damen quietschend hinterher. Dafür kosteten auch die Flasche Sekt ›Hausmarke Schloß Tupferfeld‹, Sonder-Cuvée, 75, – DM und ein Bier 5, – DM.
An diesem Abend ließ sich Marion Stellmacher Zeit. Sie saß brav in einem der Cafés des offiziellen Kurviertels und trank Orangensaft, beobachtete die Kurgäste und sah einige Damen der Schönheitsfarm, die sich in die Gaststätten schlichen, um dort die strenge Diät etwas aufzuheitern durch Kalbshaxen und saftige Steaks.
Um zu zeigen, daß sie auch diese kleinen Verfehlungen registrierte, machte sie einen Rundgang durch alle Lokale und nickte allen kleinen Sünderinnen wie alten Freunden zu, sagte respektlos: »Guten Appetit« und ging weiter. Wo sie erschien, gab es betretene Gesichter. Frau Erna Pfannenmacher, die gerade einen Kloß aß, verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall.
Dann saß Marion wieder in ihrem Café, bis dieses um Mitternacht schloß.
Die große Stunde war gekommen.
Hinter dem hochgeklappten Kofferraumdeckel ihres Autos zog sie sich um: Ein langes Abendkleid aus schimmernder Seide, golden glänzend und dann wieder rötlich, je nachdem, wie das Licht darauf fiel. Sie kämmte sich die schwarzen Haare aus, ließ es in langen Wellen bis auf die Schultern fließen und steckte eine goldene Rose in das Haar über dem linken Ohr. Die Lippen schminkte sie Orangen, mit einem dünnen schwarzen Strich umrandete sie die Augen, daß sie mandelförmig wirkten.
Dann stieg sie in den Wagen und fuhr hinaus zum Motel ›Forellenklause‹.
Ihr Auftritt war überwältigend.
Frau Nitze, die Gattin eines
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