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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Schelzig ergänzte ungerührt: «Mit einer Tüte voller erbrochener Eingeweide. Sie war längst so krank, dass ihr egal war, wen sie möglicherweise alles angesteckt hat.» Peters, in jetzt endgültig gescheiterter Alles-nicht-so-schlimm-Mission, hob die weißen Kunststoffhandschuhe mit nach außen gedrehten Handflächen.
    Danowski sah auf seine im Gegensatz dazu nackten Hände. Der Kaffee stand vor ihm auf dem Bartresen wie eine Trophäe, aber die anderen Passagiere schliefen noch, und so beneidete ihn niemand darum. Dann hob er den Blick und sagte: «Wie geht es ihr?»
    «Sie stirbt», sagte Schelzig und beäugte seinen Kaffee. «Und beim Schiffsarzt sind ebenfalls die ersten Symptome aufgetreten. Ich vermute, er hat noch einen Tag bis zum Vollbild. Und ich habe Sie ja bereits vor geraumer Zeit über die exorbitant hohe Mortalitätsrate bei Filoviren aufgeklärt.»
    «Ja», sagte Danowski. «Das haben Sie.» Er sah sich selbst im Spiegel hinter dem Bartresen, ein mitgenommenes Labortier zwischen zwei gerade aufgerichteten Wissenschaftlern in Weiß. Der Kaffeegeruch erinnerte ihn an Kristina Ehlers. Er schluckte.
    «Bisher ist es uns gelungen, diesen Vorfall nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen», sagte Peters. «Eine Entscheidung, die uns nicht leichtgefallen ist, wir mussten abwägen zwischen der Gefahr durch eine Panik und der Aufklärungspflicht zugunsten der öffentlichen Gesundheit. Aber soweit wir wissen, ist das jetzt akademisch, weil die ersten Zeugen von Ehlers’ Odyssee angefangen haben, mit der Presse zu reden. Und der Hafengeburtstag wird abgesagt. Zu viele Menschen auf engem Raum. Sie glauben nicht, was das für ein Theater geben wird.»
    «Kein Schlepperballett», sagte Danowski gespielt fassungslos.
    «Die Leute von der Wirtschaftsbehörde sind verzweifelt wegen der Umsatzeinbußen und wegen des ganzen …»
    «Wahrscheinlich wird es eine Art Schutzimpfung geben», unerbrach Schelzig, die offenbar genug über Hamburger Folklore und die Probleme der Wirtschaftsbehörde gehört hatte.
    «Das ist alles andere als sicher», beruhigte sie Peters, als wollte er einen Streit vermeiden. «Wir wissen gar nicht, wogegen wir impfen sollen.»
    «Filoviren», sagte Schelzig ungeduldig, denn offenbar hatten sie dieses Gespräch in gleicher Rollenverteilung und im gleichen Tonfall schon im Krisenstab gehabt.
    «Die Impfstoffe sind neu und noch in der Erprobungsphase», gab Peters zu bedenken.
    «Grund genug, die Erprobung jetzt fortzusetzen. Am besten an Freiwilligen. Und zwar all jenen, die gestern Morgen möglicherweise mit Kristina Ehlers Berührung hatten. Oder mit etwas, das sie angefasst haben könnte.»
    Peters wiegte den Kopf, und Danowski sah an der Aufwärtsbewegung seiner Atemmaske, dass er dahinter den Mund verzog.
    «Sie stirbt», echote Danowski verspätet. Die beiden schwiegen leicht pietätvoll, dann sagte Schelzig: «Sie ist nicht ansprechbar, im Delirium, und obwohl es bei Ebola und Marburg erstaunliche Fälle gegeben hat, sehe ich ehrlich gesagt nicht, wie sie sich von ihren Organschäden erholen könnte. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihr Körper das Virus doch noch besiegt.»
    «Und wie hat sie sich angesteckt? Ich meine, wir beide waren auch dabei. Im gleichen Moment, im gleichen Raum. Dieselbe Situation.»
    «Nicht ganz. Keiner von uns beiden hat die Bettdecke angefasst. Keiner von uns beiden hat seine Handschuhe so schlampig angezogen. Und keiner von uns hat einen derart ausgeprägten Hang zu Onychophagie und Perionychophagie wie Frau Ehlers.»
    «Ich weiß, dass Frau Ehlers einen anderen Lebensstil hat als ich, aber ich bin nicht sicher, ob ich wissen möchte, worum es sich bei diesen beiden Praktiken handelt. Was mit Tieren?»
    «Das Abbeißen, Kauen und Verzehren von Fingernägeln und der sie umgebenden Haut», sagte Schelzig ungerührt. Danowski fielen die Hände von Kristina Ehlers ein und wie ihre heruntergekauten Fingernägel ihn berührt hatten.
    «Dadurch hat sie ihrem Körper eine Vielzahl kleiner und kleinster Wunden zugefügt und durch fortgesetzte Praxis verhindert, dass diese Wunden sich wieder schließen konnten. Ob dahinter eine Neurose, Hinweise auf eine Psychose oder einfach eine stereotypisierte Reaktionsweise stehen, kann ich Ihnen …»
    «Frau Doktor Schelzig, ich glaube, wir können uns das ungefähr vorstellen», sagte Peters, der anscheinend merkte, dass Danowski angefangen hatte, schärfer zu atmen. «Frau Ehlers hat an den Fingernägeln gekaut,

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