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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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war.
    Der Lange ging zu Boden, aber darum waren sie ja zu dritt: um zwei in Reserve zu haben, die ihn jetzt humorlos rechts und links unter den Achseln packten, hochzogen und dann offenbar einen Moment nicht einig waren, ob es nun galt, Danowski zu verdreschen oder ihn die Stahltreppe hinunterzuwerfen. Weil er ihre Gesichter nicht sehen konnte, schien es ihm, als könnte er ihre Gefühlsregungen an der Haltung ihrer Kopfkissenbezüge ablesen. Er warf sich in die Lücke zwischen beiden und rammte dem Rechten seinen Ellbogen in den Solarplexus. Oder in die allgemeine Region, die weich gepolstert war und viel zu sehr nachgab, als dass Danowski dort wirklich hätte Schock und Schmerz verursachen können. Im Fallen bekam er Stoff zu fassen.
    Tatsächlich ein Kopfkissenbezug, dachte er in leicht heiterem Tonfall, als ginge es um nichts.
    Dann war er in der Luft, für den Bruchteil einer Sekunde, dieses berauschende Gefühl, wenn man ins Leere getreten hatte, und dann konnte man sich ganz auf den Aufprall konzentrieren.
    Er schlug mit dem Steiß und der Hüfte auf eine der obersten beiden Stufen der hinabführenden Treppe, merkte, wie er sich durch die Wucht des Aufpralls wiederum etwa halb um seine Achse drehte, sodass er mit den Armen seinen Sturz ein wenig abmildern konnte, dies allerdings auf Kosten ebenjener Arme, in der einen Hand der Kopfkissenbezug. Der Schmerz war wie immer, wenn wirklich etwas schiefging, eine vernachlässigbare Randerscheinung, nicht zu vergleichen mit einer Behandlung am entzündeten Zahnnerv oder mit einer Mittelohrentzündung, denn was ihn wirklich quälte, war der Gedanke: Wenn nur nichts kaputt ist.
    Er landete auf der Seite und auf dem rechten Ellbogen unten an der Treppe, und weil ihm Luft entwichen war, rang er nach Atem, während er sich halb aufgerichtet auf den Rücken drehte. Das Bardeck war mit einem wunderbar ahornsirupfarbenen Licht übergossen, die Möwen kreischten über ihm, als wären sie Geier für einen Tag, und die Luft roch mal wieder nach dem Fata-Morgana-Kaffee von gestern oder neulich. Dass er am Leben war, sah er daran, dass sich auf seiner Hose ein schnell größer werdender Blutfleck bildete, der aber nicht von innen kam, sondern von außen, Lippe und Nase. Mist, dachte er, und nichts zum Wechseln.
    Etwa drei bis vier Meter über ihm lehnten zwei der drei Kopfkissenmänner an der Innenreling und sahen auf ihn hinab wie Figuren in einer schlecht ausgestatteten Kindersendung. Der, dem er die Maske abgerissen hatte, verbarg sich hinter ihnen. Dann lösten sie sich nacheinander vom Geländer und gingen langsam und ohne sich umzusehen in Richtung Aufzug.
    «Das mit den Kissenbezügen gebe ich aber ans Housekeeping weiter!», rief er ihnen hinterher, um seine Stimme zu testen. Sie klang erbärmlich. Wo er blutete, wurde es kalt wie der Morgen. Und in ihm breitete sich eine mörderische Wut aus, die ihn daran erinnerte, wie einfach es war, anderen den Tod zu wünschen, oder noch genauer: zu wünschen, man könnte derjenige sein, der ihnen diesen Tod bringt. Jeder, der sich nicht vorstellen konnte, dass und warum ein normaler, sozusagen zivilisierter Mensch einen anderen tötete, musste sich nur mal wieder zusammenschlagen oder eine Treppe hinunterwerfen lassen. Dann, dachte Danowski, ist es kein Problem, sich daran zu erinnern, wie intensiv das Verlangen sein kann, jemand anderem endgültig weh zu tun.
    Dann kamen die Bündel von Schmerzen, die sich jetzt schon so vertraut anfühlten, als gehörten sie seit langem zu ihm.
     
    «Wie sehen Sie denn aus?»
    Danowski blickte an sich hinab.
    «Dazu fällt mir kein passender Vergleich ein. So was habe ich auch noch nie gesehen», sagte er. Nachdem er zurück in seine Kabine gehumpelt war, hatte er seine Hose und Unterhose ausgezogen, um sie im Waschbecken einzuweichen. Es war undenkbar, hier an Bord mit blutiger Kleidung herumzuschleichen: Wenn es eine Steigerung von Pestbulle gab, dann nur noch blutiger Pestbulle. Dann hatte er die Schrammen in seinem Gesicht und die Risswunde an seinem Ellbogen ausgewaschen und sich schließlich unter Stöhnen aufs Bett gelegt, um endlich eine Adumbran zu nehmen und das Nachdenken darüber, wer ihn angegriffen haben könnte und weshalb, auf sehr viel später zu verschieben. Aber dann hatte es an der Tür geklopft, bevor er die Tablette hatte nehmen können, und er hatte sich eilig die Überdecke um den Unterleib gewickelt.
    Vor ihm standen Doktor Tülin Schelzig und schräg hinter ihr, fast

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