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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Der Quetscher an seinen Füßen, verblüfft, ohne es richtig zu merken, ließ ein wenig locker. Danowski, der alles ganz deutlich und fast langweilig genau sah, pedantisch wie auf Millimeterpapier, trat in der gleichen Drehung nach dem Fußquetscher, mit der er dem in der Enge der Kabine nicht voll manövrierfähigen Handschuhmann die aufgezogene Ampulle aus dessen instinktiv lockeren Griff gerissen hatte. Niemand wollte eine Ampulle mit Virusblut zu fest anfassen. Und sobald Danowski sie in der Hand hatte, wichen alle zurück.
    Wenn das Schelzig sehen könnte, dachte er wirr. Das ist definitiv unterste Schublade, was die Quarantänevorschriften angeht.
    Dann war er aus der Kabine. Die anderen Quetscher und der Rotäugige waren nicht auf dem Gang, und alle, die ihm sonst entgegenkamen, schrie er an mit «Ihr wisst, was das ist!» und schwenkte die Ampulle mit Blut.
    Er hastete zwei Treppen hinauf, und dann wieder dieser Posten, belastbar oder nicht so leicht zu ersetzen, der Holländer und der Schinken, aber nach einer kurzen Denkpause wichen sie doch zurück, und dann wurde ihm klar, dass längst wieder Nacht war und dass er nicht einmal mehr Schuhe trug. Daran, dass er auf dem sechsten Deck draußen stand und der gegen Ausrutschen aufgeraute Metallboden feucht war unter seinen Füßen und der Himmel so wie in der letzten Nacht, als Maik gestorben war. Zwei Offiziere waren ihm gefolgt, und er schwenkte die Arme und rief: «Ich lege die Spritze hierhin! Hier! Auf diesen Vorsprung. Sie müssen dafür sorgen, dass sich jemand darum kümmert. Doktor Tülin Schelzig!»
    Dann musste er über sich selber lachen und dachte: Was rede ich hier? Ich schinde nur Zeit. Ich habe Angst. Natürlich habe ich Angst.
    Und als er die Spritze abgelegt hatte und sich von ihr löste und die Offiziere vorsichtig näher kamen, sah er aus dem Augenwinkel, wie schwarz und uneben die Elbe war. Es war diese Unebenheit, die ihn fast mehr störte als die Schwärze oder die Höhe, von der er nur wusste, die er aber gerade nicht sehen konnte, und das leere Containerschiff, das gerade gewendet worden war und jetzt in etwa fünfzig bis hundert Metern Entfernung auf die «Große Freiheit» zukam. Also: auf ihn.
    Er überwand die Reling mit einem seltsam nostalgischen Gefühl von: Kommst du mit, wir klettern über den Zaun. Dann ließ er sich in die Dunkelheit fallen.

45 . Kapitel
    Natürlich schluckte er.
    Aber das lenkte ihn davon ab, dass er ungeschickt eingetaucht war, die Beine zu weit auseinander. Statt Haut am Leib die Kälte des ganzen Universums. Für einen Moment wusste er nicht, wo oben war. Davon hatte er schon mal gehört; Menschen, die ertranken, weil sie im Schock nicht wussten, wo die Wasseroberfläche war, und die wie besessen nach unten schwammen, weg von der Luft. Am Ende war das Leben bis zum Tod eine Aneinanderreihung von Dingen, von denen man schon mal gehört hatte. Wie langweilig, dachte er wütend.
    Als er mit dem Kopf auftauchte, hatte er Ölgeruch in der Nase und Brack, die weltfüllende Metallwand der «Großen Freiheit» im Rücken, Rufe von der Reling, und die Suchscheinwerferlichtkreisel der beiden nächsten Polizeiboote tanzten um ihn übers Wasser und fanden ihn und ließen ihn nicht mehr los. Er zwang Luft in seine Lungen und ärgerte sich, wie schwer die nasse Uniform war. Es gab drei Schiffe, deren Nähe ihn beschäftigte, während er nach Atem rang: Die «Große Freiheit» in seinem Rücken, dann ein Containerschiff, dessen Ladung Richtung Westen gelöscht wurde, und das andere, das sich aus östlicher Richtung näherte. Ganz zu schweigen von den Schleppern und den Booten der Küstenwache. Wenn die ihn rauszogen, war er auch nicht besser dran.
    Fahrrinne, dachte er, während er wegkraulte von der «Großen Freiheit», da muss ich durch. Bis zum anderen Ufer waren es zwei-, vielleicht dreihundert Meter, aus dieser Perspektive vielleicht sogar mehr. Und daran, dass links von ihm der dunkle Rumpf des Containerschiffs sein Gesichtsfeld immer mehr ausfüllte, merkte er, dass er sich von oben verrechnet hatte. Oder sich geweigert hatte, jemals zu rechnen. Am Rumpf konnte er mit vor öligem Wasser schmerzenden Augen « NYK Andromeda» lesen. Früher, ganz am Anfang seiner Hamburger Zeit, hatte er sich für diese Schiffe und woher sie kamen interessiert. Jetzt interessierte ihn nur: Niemals würde es ihm gelingen, vor dem Containerschiff zur anderen Elbseite zu schwimmen und sich im Dickicht am Ufer zu verbergen. Im Grunde

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