Treibland
Luft ausstieß.
«Ich muss Schluss machen», sagte er.
«Schon gut», sagte sie und legte auf.
5 . Kapitel
Danowski atmete langsam aus. Die Gestalt im weißen Schutzanzug kam auf ihn zu. Im kleinen, dicht gezurrten Ausschnitt der weißen Kapuze sah er das ernste Gesicht einer Frau Anfang dreißig. Graue Augen, schmale Nase, kaum Lippen: Sie sah aus, als wolle sie möglichst wenig von sich nach außen lassen, nicht mal ihre Gesichtszüge. Den Mundschutz trug sie um den Hals wie ein hässliches Amulett, ihre Füße raschelten auf dem Teppich in weißen Kunststoffüberzügen, und als sie direkt vor Danowski stand, merkte er, dass sie einige Zentimeter größer war als er. Statt ihm die Hand zu geben, zog sie sich einen beigefarbenen Gummihandschuh darüber.
«Morgen», sagte sie. «Tülin Schelzig vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Sie müssen von der Polizei sein.»
«Das stimmt leider», gab Danowski zurück.
Sie runzelte die Stirn, bis ihre Augenbrauen an den Rand der weißen Kapuze stießen.
«Nur ein Witz», sagte Danowski nervös. Die ist daran gewöhnt, überall die Klassenbeste zu sein, dachte er. Früher hat es sie gelangweilt, immer die Schlauste im Raum zu sein, jetzt registriert sie’s nicht einmal mehr.
«Ich möchte Sie bitten, keine Witze zu machen», wies sie ihn zurecht. «Erstens liegt wenige Meter von uns entfernt, hinter dieser Tür da vorne, die Leiche eines Menschen, der an Schleimhautblutungen aus dem Gastrointestinal- und dem Genitaltrakt gestorben ist. Zweitens mag ich keine Witze.»
«Wie war noch mal der Mittelteil?», fragte Danowski.
«Schleimhautblutungen.»
«Aus allen Öffnungen.»
«So könnte man es sagen», antwortete sie.
«Woher wissen Sie das?»
«Bisher nur vom Schiffsarzt, der aber leider kaum ansprechbar ist. Morphium. Wir haben ihn vorläufig isoliert. Und wir suchen eine von den Stewardessen oder wie auch immer die hier heißen. Die ihn gefunden hat. Die Reederei hat bisher nicht den Namen rausgegeben. Was ärgerlich ist, denn wir müssten sie ebenfalls dringend isolieren.» Danowski dachte an den anonymen Anruf.
«Die Reedereien und Besatzungen sind nicht besonders auskunftsfreudig, wenn es um Krankheitsausbrüche an Bord ihrer Schiffe geht», fuhr Schelzig fort. «Niemand kann mir sagen, wer außer dem Schiffsarzt und der Kabinenstewardess noch Kontakt zum Toten hatte. Ich hoffe, niemand. Soweit ich den Schiffsarzt verstanden habe, hat der Tote die Krankenstation nachts aufgesucht, als wenig Menschen unterwegs waren und noch bevor die letzte Phase der Krankheit mit Blutungen und Erbrechen eingetreten war. Dem Krankenblatt entnehme ich, dass hier vor Eintreten des Todes vermutlich eine fiebrige Viruserkrankung mit starken Blutungen vorlag, und die sind sehr ansteckend. Darum seien Sie bitte vorsichtig beim Anlegen der Schutzkleidung.»
«Wir haben unser eigenes Zeug im Auto», sagte Danowski, der es zwar hasste, sich für die Spurensicherung am Tatort die Einwegschutzkleidung überzuziehen, der aber gleichzeitig eine Vision davon hatte, zum Auto zurückzukehren und mit quietschenden Reifen wegzufahren.
«Das Zeug, das Sie haben, dient dazu, den Tatort vor Ihnen und Ihren Absonderungen zu schützen», sagte Tülin Schelzig. «Dieses hier erfüllt gewisse klinische Standards und kann Sie, wenn wir die Ärmel und Fußenden gut abkleben, vor dem schützen, was der Tote möglicherweise absondert.»
«Ich bevorzuge insgesamt Tote, die nichts absondern», sagte Danowski düster. Er öffnete die Packung und streifte den einteiligen weißen Anzug über, wobei er sich nicht so geschickt anstellte, wie er es gern getan hätte. Seine Finger zitterten. Kein Frühstück. Der Tod. Immer komisch, sich in Gegenwart von Fremden an- oder auszuziehen. Die Frau vom Tropeninstitut beobachtete ihn missbilligend. Als sie einander halfen, die Hand- und Überschuhe mit transparentem Klebeband sorgfältig am Overall festzukleben, entstand für Augenblicke eine unerfreuliche Nähe. Tülin Schelzigs Atem roch nach Kräutertee und langen Nächten im Labor. Dann forderte sie ihn mit einer knappen Kinnbewegung auf, den Mundschutz überzuziehen, reichte ihm eine Schutzbrille und zog ihm die Kapuze hoch wie eine Mutter, die ihr Kind zur Grundschule schickt.
«Sind Sie bereit?»
Danowski hob unverbindlich die Augenbrauen.
Tülin Schelzig öffnete die beigefarbene Imitatholz-Tür zur Krankenstation. Dahinter lag offenbar das Sprechzimmer des Schiffsarztes: ein hellbraun
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