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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Herzinfarkt. Es war Selbstmord. Einfach tot umgefallen, vor allen Leuten. Tagelang tot in der Kabine, und keiner hat’s gemerkt.
Manche wollten ihr Geld zurück, anderen war es egal, und dazwischen hielten sich jene am Geländer fest, bei denen jetzt erst die Wirkung der Longdrinks und des Valiums nachließ und die sich noch nicht zu fragen trauten, ob sie was verpasst hatten. Und die Kinder, für die alles in Ordnung war, solange sie ihren Eltern nicht anmerkten, dass die anfingen, sich Sorgen zu machen. Als wäre sein Blick ein Schleppnetz, in dem alles hängenblieb: das, was er suchte; das, wovon er noch nicht wusste, ob er es brauchen würde; und das, was toter Ballast war, nutzloses Wissen.
    «Geht’s jetzt endlich mal weiter?», rief ein Mann etwa in Danowskis Alter, neben ihm drei Kinder, überrascht und angetan von der Lautstärke seiner eigenen Stimme in der teppichgedämpften Atmosphäre der Schiffslobby. «Wir wollen nach Hause!» Ein paar der Umstehenden nickten, wirkten aber eher unangenehm berührt durch den frühen Gefühlsausbruch. Einige Meter weiter weinte eine relativ junge Frau mit roten Haaren. Danowski wandte sich ab, um sie nicht anzustarren. Ein paar Schritte hinter den Bundespolizisten standen sechs oder sieben Männer von der Schiffsbesatzung in schwarzen Hosen und dunkelblauen Windjacken, auf denen in Weiß der Name der Reederei stand. Sie blickten feindselig in Danowskis Richtung und wechselten ein paar Worte: ein Eindringling. Ein schwerer Schiffsoffizier in einer engen weißen Phantasieuniform, die aber vermutlich irgendwelchen internationalen Personenschifffahrtstandards entsprach, trat hinter der Gruppe hervor und näherte sich Danowski in Begleitung einer jungen dunkelhaarigen Frau. Sie trug eine dunkelblaue Uniform ohne jede Art von Rangabzeichen außer ihrem Namensschild, auf dem «Sonia Vespucci» stand und «Animation Team», darunter fünf kleine Flaggen: die italienische, deutsche, französische, englische und spanische. Der weiß Uniformierte hatte kein Namensschild, aber goldene Epauletten. Er war braun gebrannt, mit zurückgegeltem grauem Haar, das sich im Nacken lockte, und sah für Danowski südländisch aus, aber was wusste Danowski. Finzi hielt sich für einen halben Italiener und kam aus Bahrenfeld. Der Uniformierte schob die Frau vom «Animation Team» beiseite und begann, trocken und unfreundlich mit Finzi Italienisch zu sprechen. Als er Luft holte, schob sich Sonia Vespucci wieder vor ihn und sagte zu Finzi: «Mario Soldani, der Erste Offizier und nach dem Kapitän ranghöchster Vertreter hier an Bord. Er fordert Sie im Namen der Reederei und des Kapitäns auf, das Schiff so schnell wie möglich wieder zu verlassen.»
    Offenbar war der Beamte von der Bundespolizei, der sich aus seiner Gruppe gelöst hatte, um den Zugang zum Schiff zu regeln, an die beiden und ihre Dolmetschernummer bereits gewöhnt. Ohne sie zu beachten, gab er Finzi dessen Dienstausweis mit einem Gesichtsausdruck zurück, als wäre er vom
Yps
-Detektivclub ausgestellt.
    «Nichts zu machen», sagte der Bundespolizist bestimmt und schlenkerte mit dem Clipboard, das er in der anderen Hand hielt. «Nach dem Bundesseuchenschutzgesetz ist hier seit heute Morgen das Robert-Koch-Institut zuständig, und die haben das vor Ort an die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz übertragen und ans Tropeninstitut auf Sankt Pauli.»
    «Lies uns doch bitte noch mehr aus dem Telefonbuch vor», sagte Finzi.
    «Hier stehen zwei Namen auf der Liste, alle anderen dürfen nicht an Bord. Und die Namen sind nicht Finzel und nicht Ehlers, und was hier abgeht, habt ihr sowieso nicht in der Hand, und wir ehrlich gesagt auch nicht mehr.»
    «Schade», sagte Danowski mit schlecht verhohlener Erleichterung. «Dann lasst uns mal gehen. Der Vizekapitän hier ist ja auch schon ganz aufgeregt.»
    Finzi schnaubte. Der Bundespolizei-Beamte musterte Danowski und sagte: «Ich habe eine Dame vom Tropeninstitut auf der Liste, die ist schon an Bord. Und einmal Kripo zum Ausschluss eines Fremdverschuldens. Zwei waagerecht: Hauptkommissar mit acht Buchstaben.»
    «Ah, ein Bundespolizei-Kollege mit Humor», sagte Kristina Ehlers.
    «Ein Grund mehr, hier abzuhauen», sagte Danowski und zeigte resigniert seinen Dienstausweis.
    «Immer setzt die Chefin dich auf alle möglichen Listen», schmollte Finzi. «Nur, weil ich ein paar Jahre absolut unberechenbar und gemeingefährlich war im Job.» Der Beamte der Bundespolizei forderte den

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