Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
Vom Netzwerk:
Dann möchte ich diese Tür hier schließen, den Raum versiegeln und im Durchgangsbereich eine Schleuse improvisieren. Wir werden unsere Schutzanzüge hier ausziehen, sie luftdicht verstauen und uns dann im Behandlungszimmer an Händen, Füßen und Gesicht mit Desinfizierungs…» Die Frau vom Tropeninstitut brach ab, denn Kristina Ehlers hatte die Bettdecke mit einer Hand angehoben. Sie warf einen Blick darunter, als versteckte sich dort wirklich jemand, auf dessen Scherz sie geduldig eingehen wollte. Dann taumelte sie zurück, folgte Danowski und Tülin Schelzig, die durch die Tür in den Durchgangsraum gewichen waren, und erbrach sich auf ihrer aller Füße.
    «Muss ja eine schlimme Nacht gewesen sein», sagte Danowski und hörte an seiner eigenen Stimme, dass er das alles unmöglich an sich heranlassen konnte.

6 . Kapitel
    Es begann mit einem Schmerz im Rücken, unten, wo die Lendenwirbel waren. Wenn es das war, was sie glaubte, dann fing es so an. Das konnte man nachlesen. WLAN , zehn Euro am Tag. Oder einmal kurz, die halbe Stunde für einen Euro.
    Andererseits: Fast alles begann so. Eine Grippe begann so. Oder eine etwas schwerere Erkältung. Die große Müdigkeit, aus der das Leben in geschlossenen Räumen bestand. Der Morgen nach einer Nacht in einem zu weichen Bett, das nicht das eigene war.
    Dann kam das Fieber. Auch das konnte man nachlesen. Oder sich erzählen lassen. Und während sie sich noch fragte, ob ihr Rücken dort schmerzte, wo es vorgesehen war, meinte sie, das Fieber zu spüren. Aber was sollte sich anfühlen wie Fieber, wenn nicht zu lange Zeit an Bord einer schwimmenden Welt, mit zu viel aufbereiteter Luft und zu wenig Schlaf? Oder ein Leben mit ein, zwei großen Lügen. Vielleicht auch drei. Fühlte sich das auf die Dauer nicht auch wie Fieber an? Fühlte sich nur Fieber an wie Fieber?
    Und wie lange blieb einem dann noch? Carsten hatte vom ersten bis zum letzten Schmerz keine vier Tage gehabt. Wenn ja, dann: wie lange? Wenn nein, dann: wann?
    Die rothaarige Frau stand auf dem Oberdeck an der Reling und bemühte sich, das Schiff unter ihren Füßen zu vergessen. Wenn sie die Augen schloss, hörte sie die Möwen, die ihr vergleichsweise höflich und zurückhaltend erschienen; sie forderten nicht, sie plauderten eher. Im Hamburger Hafen brauchten sie nicht zu schreien, hier gab es mehr, als sie brauchten.
    Sie hörte Stimmen vom Kai und versuchte zu vergessen, was sie in den letzten ein, zwei Tagen gesehen hatte. Vielleicht war alles bald vorüber. Vielleicht konnte sie bald an Land gehen. Vielleicht war sie genauso gesund, wie sie gewesen war, als sie dieses Schiff betreten hatte.
    Vielleicht würde es einen Punkt in ihrem Leben geben, an dem sie sich genau an diesen Moment erinnern und denken würde: Damals dachtest du, alles ist vorbei, und dann ist es doch weitergegangen.
    Die Sonne färbte ihre Welt orangerot. Sie öffnete die Augen. Außer ihr war niemand mehr auf dem Oberdeck. Die Passagiere hatten sich an die Durchsagen gehalten: Aufgrund von medizinischen Maßnahmen ist jeder aufgefordert, in seine Kabine zu gehen und diese bis auf Weiteres nicht zu verlassen. Die Crew hatte sich sowieso mehr oder weniger in den Bauch des Schiffes zurückgezogen.
    Sie hatte das Schiff und die Elbe im Rücken, und etwa zwanzig oder dreißig Meter unter ihr, auf dem Kai des Cruise Terminals, wurden gerade die Vorbereitungen abgeschlossen für das, was die Cruise-Direktorin über die Lautsprecheranlage als «medical measures» oder «apprestamenti medici» bezeichnet hatte. Sie stützte ihre Unterarme auf die Reling aus poliertem Holz und ihr warmes Gesicht in ihre Hände. Ein gutes Dutzend Schutzpolizisten hatte einen etwa zwei Meter breiten Weg zur Gangway auf beiden Seiten mit Sichtblenden abgedeckt: weiße Planen, die mit Kabelbindern an eisernen Bauzaunelementen befestigt waren und sachte im Frühsommerwind flatterten. Jetzt gingen sie zurück zum Parkplatzrand, um die unverblendete polizeiliche Absperrung zu sichern. Medizinische Maßnahmen, die niemand sehen durfte. Was damit begann, dass die Kameras der Fernsehteams nicht aufnehmen sollten, was hier gleich geschehen würde. Sie zupfte an ihrer etwas zu kleinen und viel zu kratzigen Uniformhose. Was war eigentlich unheimlicher und geeigneter, die Unruhe zu verstärken, die sich jetzt vermutlich in der Stadt auszubreiten begann? Bilder von dem, was jetzt gleich passieren würde, oder Bilder von weißen Sichtschutzzäunen, hinter denen jede

Weitere Kostenlose Bücher