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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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furnierter Tisch mit Rechner und Schreibutensilien, dahinter ein passendes Regal, offen, mit Klinikpackungen gängiger Medikamente, das Meiste gegen Seekrankheit. Die Decke war niedrig, alles sah etwas kleiner aus als in Wirklichkeit auf dem Festland, so, als habe jemand die Welt um fünf bis zehn Zentimeter geschrumpft. Mein Format, dachte Danowski, ohne es angenehm zu finden. Blau gepolsterte Stühle, rechts davon, zu nah am Tisch und den anderen Möbeln, eine weiße Metallliege mit hellblauer Polsterauflage. Leer. Eine schmale Tür führte in einen winzigen Durchgangsraum, in dem zwei Material- und Wäscheschränke mit Glastüren standen und von dem aus sich eine weitere Tür zu einem Nebenraum öffnete. Danowski sah, wie Tülin Schelzig sie öffnete. Sie schien zu klemmen, oder die Frau vom Tropeninstitut zögerte merklich. Danowski folgte ihr so dicht, dass er gegen ihren Rücken und Hintern stieß, als sie stehen blieb. Über ihre Schulter sah er erst mal nur ein Bullauge, das ins Freie wies, darunter ein zweites, das blind war. Graugelbe Vorhänge, nachlässig beiseitegeschoben. Er spürte, wie die Frau vom Tropeninstitut zurückwich und sich unfreiwillig gegen ihn drängte, während er bewegungslos kurz vor der Schwelle des Krankenraums stand. Zwei Betten, zwei Beistelltische, grauweiß, Krankenhausstandard. Danowski konnte den Blick nicht von den graugelben Vorhängen wenden, eine Farbe, wie sie auf der Welt nur in Flugzeugen, Eisenbahnen, Hotels und offenbar eben auf Kreuzfahrtschiffen vorkam. Eine Farbe, die in diesem Moment für ihn den großen Zauber hatte, dass sie nicht das war, was er an der Wand hinter dem zweiten Krankenbett sah: eine schwarze, gestockte Flüssigkeit, stumpf glänzend, mit Erhebungen. Tülin Schelzig ging unwillkürlich einen Schritt vorwärts, als wollte sie Danowski ausweichen, der offenbar zu weit in ihre Körperzone eingedrungen war. Auf dem Krankenbett lag etwas, das die Konturen eines umfangreichen menschlichen Körpers hatte, aber es war vollständig verborgen unter einer Bettdecke, die jemand aus Barmherzigkeit oder aus Ekel darübergezogen hatte.
    Das war die rationale Erklärung, aber Danowskis erster Gedanke war, dass der Körper sich vor etwas versteckt hatte wie ein Kind, das sich unter der Bettdecke verkriecht.
    Danowski kannte viele Leichenfundgerüche, aber die Mischung aus Klimaanlage, Eingeweiden, geronnenem Blut und tiefer, elementarer Krankheit war neu. Dann mischte sich kalter Zigarettenrauch darunter, und als Tülin Schelzig sich umdrehte, sah er, wie ihre Augen sich hinter der Schutzbrille weiteten, verblüfft und verärgert. Er drehte sich ebenfalls um und sah ein weiteres Mal das Gesicht von Kristina Ehlers. Sie trug den gleichen weißen Schutzanzug, aber sehr viel lässiger: den Mundschutz hielt sie sich mit einer Hand vors Gesicht, ohne ihn umgeschnallt zu haben, und Danowski sah auf einen Blick, dass sie den Versuch, sich selbst an Hand- und Fußgelenken abzukleben, schnell aufgegeben hatte.
    «Kristina Ehlers, Institut für Rechtsmedizin. Der Kollege von der Bundespolizei hatte dann doch Respekt vorm Forschungsauftrag des Universitätsklinikums», sagte sie laut, aber undeutlich durch die Maske und nickte in Richtung Schelzig. Danowski spürte, dass sein und Tülin Schelzigs Entsetzen sie leicht zurückweichen ließ, und dann, wie sie sich innerhalb eines Sekundenbruchteils entschloss, mit Bravour darüber hinwegzugehen. Sie schob sich an ihnen vorbei und ging zum Totenlager. Danowski sah, wie sie vermied, in etwas auf dem Fußboden zu treten. Er wandte sich ab.
    Tülin Schelzig schüttelte den Kopf, dass ihr Schutzanzug raschelte. «Sind Sie wahnsinnig? So, wie das hier aussieht, ist das Biohazard  4 . Wir brauchen Raumanzüge, einen Drei-Zonen-Zu- und -Abgang, eine Schleuse und vieles mehr, bevor wir den Leichnam sichern können. Und vor allem brauchen wir Fachleute. Also nicht Sie. Und jetzt gehen wir.»
    «Gar nicht neugierig, was der große Junge hier zu verbergen hat?» Danowski hatte schon immer darunter gelitten, wie Ehlers über und mit den Toten sprach. Tülin Schelzig nahm sich offenbar vor, sie zu ignorieren, sagte dann aber halblaut und deutlich: «Das machen Sie hier auf eigene Gefahr, und ich werde dafür sorgen, dass Ihr unverantwortliches Verhalten aktenkundig wird.»
    «Ak-ten-kun-dig», sagte Kristina Ehlers in ironischem Stakkato und beugte sich über das Bett.
    «Sobald Sie den Raum verlassen haben, werde ich ein paar Fotos machen.

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