Treuepunkte
ich noch heute direkt mitnehmen würde. Ich glaube, Luke hat in der gesamten Schulzeit nie einen Korb bekommen. Ich will gar nicht wissen, wen außer mir der alles vernascht hat.
»Und dieser Luke soll doch mal sehen, was er in seiner Schulzeit verpasst hat«, beschließe ich zum Jahrgangstreffen zu gehen. Die zwei Wochen bis zum Termin esse ich weniger denn je und kaufe mir extra für den Abend eine umwerfende Jeans in Größe 29 ! Sie kneift etwas, macht aber, wie Christoph sagt, einen Wahnsinnshintern. Na denn! Mit meinem Wahnsinnshintern kann ich zwar kaum atmen – aber wen interessiert das schon.
Zu der Jeans trage ich ein kleines V-Pulloverchen, um ja nicht zu zurechtgemacht zu wirken, und als Schmuck wähle ich armreifgroße Kreolenohrringe. Jede Afrikanerin würde mich um die Dinger beneiden. Ich schminke mich so kunstvoll wie möglich und arbeite die doppelte Menge Schaumfestiger in mein Haar ein. Nach dem Motto: Machen Sie aus nichts so viel wie möglich. Meine Fusselhaare sind wirklich eine Prüfung. Man föhnt, stylt, arbeitet parallel mit diversen Rundbürsten, schmiert sich alles ins Haar, was auf dem freien Markt erhältlich ist, und trotzdem fällt die Pracht meistens schon nach einer Dreiviertelstunde in sich zusammen. Und das Ätzendste: Von all der Mühe soll man möglichst wenig merken. Das ist nämlich die große Kunst, alles Erdenkliche zu tun, ohne dass es aussieht, als hätte man allzu viel tun müssen. Über das Ganze werfe ich mir schließlich noch kunstvoll einen Poncho. Ein fransiges Teil mit einem Loch für den Kopf. So kann ich, sollte mir die Jeans komplett die Luft abschnüren, mal den Knopf aufmachen, ohne gleich im Freien zu stehen. Außerdem sind Ponchos zurzeit der allerneuste Schrei. Als ich so zurechtgemacht das Haus verlasse, ist Christoph fast ein bisschen sauer. »Für wen wirfst du dich denn da so in Schale?«, fragt er nur. »Für alle«, antworte ich, »da sind noch diverse Rechnungen offen.« Die werden sich wundern. Luke wird Augen machen. Die Aschenputtel-Geschichte kann komplett neu geschrieben werden. In meiner Handtasche (so ein trendy Unterarmteilchen – genannt Clutch, hat mir die Verkäuferin erklärt) habe ich, für den Fall der Fälle, die allerbesten Fotos von meinen Kindern. Fotos, bei denen meine Mutter gefragt hat, wer das auf dem Bild sein soll. Meine Kinder sind hübsch, keine Frage, aber
auf den Fotos sehen sie fantastisch aus und das entspricht nicht ganz der Realität. Was soll’s. Auch unser Reihenhaus habe ich fotografiert. Und zwar so, dass man nicht sieht, dass seitlich noch was dranhängt. Auch ein Bild von Christoph habe ich dabei. Er lehnt an seinem BMW . Ja, ich weiß, das ist kindisch, kleinkariert und ziemlich peinlich. Sehr peinlich eigentlich. Aber nötig. Für mein Ego. Und wer weiß, was die anderen so aus ihren Handtäschchen zaubern. Ich muss die Bilder ja nicht zeigen, bin aber für alle Fälle bestens equipt.
Samstagabend in Frankfurt-Bornheim. Es ist so weit. Mett-Mischi, der große Organisator des Jahrgangstreffens, hat das Bürgerhaus Bornheim gemietet und seine Eltern liefern das Büfett. Manche Dinge ändern sich nie. Wir zahlen alle 30 Euro pauschal und dafür gibt’s Deftiges vom Schwein und diverse Partysalate. Sogar die legendären Frikadellen sind dabei. Alles wie damals. Nur wir nicht. Wir sind alt geworden. Also bei mir selbst ist es mir bisher gar nicht so aufgefallen, aber wenn man mit seiner Jugend konfrontiert wird und keiner mehr jugendlich aussieht, dann wird es wohl oder übel auch mich erwischt haben. Man selbst sieht sich ja jeden Tag und altert damit so schleichend, dass genug Zeit bleibt, sich daran zu gewöhnen.
Der Saal ist schon halb voll, als ich ankomme. Ich bin nicht überpünktlich, will aber auch nicht so viel zu spät erscheinen, dass ich die gesamte Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Es gibt ja so Leute. Die extra immer so spät kommen, dass sie auch garantiert im Mittelpunkt stehen.
Mett-Mischi hält eine kurze Begrüßungsansprache
und ich kann mich kaum konzentrieren, denn neben mir steht Britta, also genauer gesagt Brittas Ausschnitt. Ein Ausschnitt, so tief, dass man fast bis zum Knie gucken kann und Brüste so groß, dass man sich fühlt wie Reinhold Messner vor seiner ersten Achttausenderbesteigung. Dass sich diese Brüste nochmal so dermaßen vergrößert haben, ist mir unheimlich. Britta bemerkt meinen Blick und ohne dass ich frage, bekomme ich eine Antwort: »Habe ich mir machen
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