Treuepunkte
lassen, nach dem letzten Kind. Doppel D.« Britta hatte schon immer immense Brüste. Das ist deprimierend. Beängstigend geradezu. Ich schaue an mir runter und komme mir vor wie die Rheinische Tiefebene. Gut, dass mein Poncho Genaueres verdeckt. Mett-Mischis Ansprache (er hat etwa viermal ganz nebenbei erwähnt, dass er Arzt ist) nähert sich dem Ende. Er dankt seinen Eltern und wünscht uns allen viel Spaß. Luke habe ich bisher nicht entdecken können, dafür aber eine Vielzahl von Menschen, die mir völlig unbekannt vorkommen. Waren die alle tatsächlich mit mir auf der Schule? »Wo ist Luke?«, frage ich Karolina, die sich zu Britta und mir gesellt hat. »Noch nicht da, glaube ich. Ich freu mich auch schon. Seit der Schulzeit habe ich den nicht mehr gesehen.« Wir kichern. Britta rückt sich ihr Doppel D zurecht und strahlt: »Wenn der so ist wie früher, dann mache ich mir einen heißen Abend.« Wenn der so ist wie früher, wird er schon beim ersten Anblick von Brittas Dekolleté sabbern und ist für den Rest von uns mal wieder verloren. Aber wer weiß. Es soll auch Männer geben, die nach der Pubertät neue Präferenzen haben und die allein dicke Brüste per se nicht abendfüllend finden. Ich habe bisher allerdings eher wenige davon getroffen.
Wir – Karolina, Britta und ich – setzen uns an einen der langen Tische. Karolina sieht immer noch gut aus. Schlank, groß (na ja, noch sind wir ja auch nicht so alt, dass wir schon schrumpfen) und elegant. Sie ist schlicht gekleidet, hat einen streng gebundenen Pferdeschwanz, ist perfekt blond gesträhnt ohne einen Hauch von Ansatz, trägt kleine Brillis in den Ohren und irgendwie riecht alles an ihr nach Geld. Die Schuhe, die Tasche und auch der umgeschlungene beigefarbene Pullover. Garantiert Kaschmir. Darauf könnte ich wetten. Ihr Mann – sie hat geheiratet – macht in Tierfutter und ist ein von irgendwas. Ein Adliger. Unterste Adelsstufe, aber immerhin. »Wenn ihr mal günstig Hundefutter oder Katzenstreu oder so was braucht, meldet euch«, bietet sie großzügig an. So wie sie aussieht, scheint man eine Menge Geld mit Tierprodukten machen zu können. Sie selbst arbeitet halbtags in einer Boutique. Natürlich nicht bei Orsay oder Zara, sondern bei Armani. »Wir kennen den Giorgio aus Italien und er hat mich gefragt, ob ich nicht Zeit und Lust habe, seinen Laden auf Vordermann zu bringen.« Bei Armani. Das passt perfekt. Wir sind kurz ergriffen. Giorgio. Karolina ist eine Bekannte von Giorgio Armani. Wo haben die sich bloß kennen gelernt? Hat der Armani Tiere? So viele Haustiere, dass die Frau vom Chef, Karolina selbst ausliefert? Oder haben sie sich auf irgendwelchen Yachtpartys getroffen? So oder so: Das haut einen um. Dagegen anzustinken, ist nahezu unmöglich. Britta allerdings ist weniger beeindruckt als ich. »Meiner ist bei der Telekom, mein Lebensgefährte. Ich sage das nur ungern, weil ich mir dann immer stundenlang was über miese Aktienkurse oder wahlweise grauenvollen Service
anhören muss. Außerdem ist der Andre nicht im Service, sondern Ingenieur«, erzählt sie uns. Wir reagieren beide vorerst überhaupt nicht auf Giorgio. Wir geben uns cool, so als hätten wir alle Bekannte à la Giorgio Armani. Ob ich ab jetzt zum Einkaufspreis bei Armani shoppen kann? Dann hätte sich das Jahrgangstreffen allemal gelohnt. Britta selbst arbeitet auch. Halbtags als Steuerberaterin. »Wegen der Kinder schaffe ich nicht mehr, aber so in fünfzehn Jahren, wenn die aus dem Haus sind, dann will ich wieder Vollzeit arbeiten.« Immer wenn sie redet, wippt ihr Dekolleté. Wie eine feine Begleitmusik.
Wir fragen uns höflich gegenseitig nach Kindern. Karolina hat keine, dafür aber zwei Weimaraner. Das sind diese irre eleganten, grauen, großen Hunde mit den blauen Augen. Sie zeigt uns Fotos. Karolina mit Prinz Philipp und Baronin Odette – so heißen ihre Hunde – vor einem großen Tor. Hinter dem Tor sieht man einen langen Kiesweg. »Die Anfahrt zum Haus«, erklärt uns Karolina. Ich beschließe, mein Hausfoto auf alle Fälle da zu lassen, wo es ist – in der Tasche. Britta ist weniger zögerlich. Sie zückt einen Haufen Fotos und legt los: »Anna ist zwölf, Bea zehn, Chris acht, Dani sechs und das hier ist Eduard – er ist vier.« Britta hat tatsächlich fünf Kinder. Von A bis E. »War Andres Idee«, sagt Britta, »dann weiß man auch immer gleich, wer die Älteste ist.« Wir haben eine Art Ursula von der Leyen in unseren Reihen. Vier Mädchen und ein Junge.
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