Treuepunkte
diesen seltsamen Fingern. »Strähnen in mehreren Farben, Honig, aschig und Gold und ein paar Highlights in Platin«, stört er meine Fingergliedanalyse und fährt mir weiter mit seinen Spinnenfingern durchs Haar. Ich habe meine Zweifel, dass er für diese Farbpalette überhaupt genug Haare findet, aber wenn er meint, dann nur zu. »Einverstanden«, sage ich. Aber Farbe allein wird wohl nicht reichen. »Vom Schnitt her hätte ich gerne so was Fransiges, Durchgestuftes wie diese Meg Ryan hatte«, bringe ich meine eigenen Ideen jetzt mal ins Spiel. »Aber nicht so wie in ›Harry und Sally‹, diese Locken will ich nicht. Mehr so wie später, so wie jetzt Jane Fonda die Haare hat, nur halt länger.« Ich finde, das war jetzt eine klare Ansage. Miro allerdings guckt, als hätte ich mongolisch gesprochen. »Welche Meg und welche Fonda?«, fragt er mich verwirrt. Liest der keine Bunte, guckt der keine Kinofilme, wo lebt dieser Mann? Diese Frage von ihm macht mich definitiv alt. Wie soll ich denn diesem Kerlchen jetzt erklären, wer Jane Fonda ist und vor allem – was bringt es? Dann weiß er ja immer noch nicht, wie die zurzeit auf dem Kopf aussieht. »Ich hole mal den
Chef«, schlägt er vor. Gute Idee. Ich hoffe, der ist einen Tick älter oder hat wenigstens eine etwaige Vorstellung davon, wie Meg Ryan oder Jane Fonda aussehen.
Der Chef ist ein kleines Männchen, auch komplett schwarz gekleidet, hat aber mehr Haar als sein Azubi (zum Glück, denn das hätte mich sonst schon ein wenig beunruhigt). Seine Frisur ist gewöhnungsbedürftig, denn er trägt einen tiefen Seitenscheitel und einen mega Pony, der ihn quasi zum Einäugigen macht. Deshalb hält er seinen Kopf wahrscheinlich auch leicht schief. Ob das alltagstauglich ist, bezweifle ich. Seine Frisur schreit geradezu nach einer Haarspange. Er murmelt eine Art Begrüßung, schmeißt mit einem Kopfschwenk seinen Pony aus dem Gesicht und ich sehe mit einer gewissen Erleichterung, dass er zwei Augen hat. Nach diesem kurzen Hallo wendet er sich dann Miro zu. »Was willst du damit machen?«, fragt er seinen Auszubildenden. Und ich finde das Wort »damit« im Zusammenhang mit meinem Haar ein wenig despektierlich. »Highlights, Foliensträhnen in verschiedenen Blondtönen und sie will so was Durchgestuftes, ich glaube, so wie es vor zwei Jahren mal Trend war.« Da hat er es mir aber gegeben. Ich bin also eine hoffnungslos altmodische Trulla, tröste mich aber mit dem Gedanken, dass es Jane Fonda dann auch nicht besser geht. Außerdem – wenn das auf dem Chefkopf der neuste Trend ist, nehme ich lieber einen älteren. »Ich möchte durchgestufte, fransige Haare, aber nicht so, dass es abgefressen aussieht. Wie Jane Fonda sie jetzt hat. Aber halt in länger«, wage ich einen erneuten Anlauf beim Chef. Er nuschelt irgendwas wie: »hm, hm.« Ist das jetzt Zustimmung oder will er mir nur klarmachen, dass er mir zugehört hat? »Sie
wissen, was ich meine?«, traue ich mich deshalb noch ein weiteres Mal, das Wort an den Meister zu richten. Ich meine, schließlich geht es hier um meinen Kopf, da werde ich ja wohl mal eine Anmerkung machen dürfen. »Ist klar«, sagt er. Nachdem er meine fünf Haare ein weiteres Mal betatscht und dabei sorgenvoll das Gesicht verzogen hat, sagt er: »Ich wäre allerdings eher für einen Short-Cut. Bubikopfmäßig. Raspelkurz am Kopf eng dran. Mia Farrow in ›Rosemarys Baby‹ hatte so eine Frisur.« Mia Farrow in »Rosemarys Baby«? Einer der gruseligsten Filme, den ich je gesehen habe. Auch an die Frisur kann ich mich erinnern. Ein echter Bubenhaarschnitt, mit dem Mia Farrow aber ausgesprochen toll ausgesehen hat. Nur muss man sagen, dass Mia Farrow figürlich so ein Audrey-Hepburn-Typ war. Schmal und filigran. Eher androgyn. Etwas, was man von mir nicht behaupten kann. Ich habe einen fatalen Hang zum Aufspecken. Und auch, wenn ich nicht fett bin, filigran ist nochmal was anderes. Ich habe schon immer eher eine Tendenz zum Moppel, ohne einer zu sein. Aber ich weiß, was da lauert, und bin auf der Hut. Warum also der Kurzhaarschnitt? Damit meine Steckernase besser zum Vorschein kommt oder weil man mit meinem Haar einfach keine anderen Möglichkeiten hat? Bei aller Hochachtung für den Meisterfriseur, kurze Haare kommen für mich nicht infrage. Ich will keine. Nicht, dass ich sie nicht bei anderen toll finde, aber ich selbst mit kurzem Haar – eine schreckliche Vorstellung. »Nein, auf keinen Fall«, beziehe ich klar Position. Ich lasse mich doch
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