Treuepunkte
offensichtlich. Während ich ihn betrachte, steigt auch in
mir eine ziemliche Traurigkeit hoch. Gucke ich da eventuell in mein männliches Spiegelbild? Strahle ich ähnlich wenig Selbstvertrauen aus? Bin ich ebenso glanzlos? Ich könnte einfach losheulen. Aus Mitleid. Für Helmuth und ein bisschen auch für mich. Und für all diese anderen glanzlosen Menschen auf der Welt. Die Helmuths und Andreas.
Es ist früher Nachmittag und noch immer kein Lebenszeichen von Christoph. In meiner momentanen Stimmung möchte ich ihn anrufen, nein, besser gleich hinfahren, ihn in den Arm nehmen, heulen und mich dann trösten lassen. Von einem Mann, der Christoph heißt, mein Mann ist und der sagt: »Hase, das war doch alles nur ein riesengroßes Missverständnis.« »Andrea, guckst du in die nächste Woche oder wo bist du?«, stört mich Helmuth in meinen Gedanken. Auch an seinem Sprücherepertoire muss Helmuth dringend arbeiten. Das hat ja schon mein Vater gesagt: »Guckst du in die nächste Woche?«
»Ich muss los«, informiere ich Helmuth und verspreche tatsächlich, heute Abend mit ihm auszugehen. Sollte Christoph allerdings einlenken oder in den nächsten 60 Minuten anrufen und sich wortreich entschuldigen, werde ich Helmuth einen Korb geben. Das sage ich ihm jedoch nicht. Wenn sein Gemütszustand ähnlich ist wie meiner, tut es ihm gut, wenigstens bis heute Abend glauben zu können, er habe endlich auch mal eine Verabredung. Er schreibt sich meine Telefonnummer auf und sagt dann noch: »Deinen Cappuccino übernehme ich, Andrea. Heute Abend können wir ja dann halbe-halbe machen.« Ich Trottel sage auch noch danke. Danke zu einem Mann, der schon vor dem Date klarmacht, dass er
mein Essen keinesfalls bezahlen wird. Aber voller Großzügigkeit einen Cappuccino übernimmt. Unfassbar, da heult der mich voll, jammert und fleht, ich habe richtig Mitleid und dann so was! Wenn ich Helmuth ein wenig besser kenne, muss ich ihm sagen, dass eine solche Äußerung fast schlimmer ist als ekliger Mundgeruch. Sparbrötchen haben bei Frauen kaum Chancen. Um nicht zu sagen keine. Ich kann gar nicht genau sagen warum, aber ein Mann, der so genau auf den Cent guckt, wirkt extrem unerotisch. Heutzutage reden sich Geizhälse ja gerne mit der Emanzipation heraus. Nach dem Motto: Ihr wolltet es doch so! Als hätte Gleichberechtigung was mit Galanterie oder Höflichkeit zu tun. Keine Frau erwartet mehr, dass ein Kerl sie aushält (okay fast keine!), aber ein gewisses Maß an Höflichkeit kommt immer noch sehr gut an. Oder besser gesagt ein Maß an Großzügigkeit. Großzügige Menschen haben besseren Sex. Davon bin ich absolut überzeugt. Das hat was mit der so genannten Gebermentalität zu tun. Vielleicht hätte ich sogar Helmuth eingeladen, einfach so, aus Nettigkeit. Mal zahlt der und mal der. Das ist angenehm. Dieses ewige Auseinanderrechnen zeigt doch viel über die Geisteshaltung des Rechners.
Meine Güte, was für eine menschliche Großbaustelle habe ich da aufgetan. Je mehr ich über Helmuth nachdenke, desto besser fühle ich mich. Ich weiß, dass es sehr unschön ist, sich am Elend der anderen zu ergötzen, aber Helmuth ist wirklich ein einziges Elend und momentan kann ich jede Ermunterung vertragen. Noch zweieinhalb Stunden Zeit, bis Sabine und ich uns treffen, aber noch mehr Zeit mit Helmuth hätte ich schwerlich ertragen.
Außerdem muss der sicherlich bald zurück in seine Zeitarbeitsfirma. Aus der Ferne kann mich Helmuth, beziehungsweise der Gedanke an ihn, aufbauen, aus der Nähe zieht er mich unwillkürlich mit runter. Ob das eine gute Ausgangsbasis für den heutigen Abend ist, wage ich zu bezweifeln. Ob aus zweimal Elend Heiterkeit entstehen kann? Ich beschließe, schon als insgeheime Wiedergutmachung meiner schlechten Gedanken, Helmuth zu helfen. Sonst kommt der Mann nie auf einen grünen Zweig. Ich werde ihm die Wahrheit sagen, aber erst heute Abend. Vielleicht nachdem wir schon das ein oder andere Glas Wein getrunken haben. Und dann wird Helmuth verändert. Ich bin ein großer Fan aller Vorher-nachher-Shows und was bei einem Wohnzimmer geht, sollte doch auch bei einem Helmuth funktionieren. Neue Farbe und mehr Glanz. Und eine schöne Aufgabe für mich.
Sabine und ich wollen uns in der Fußgängerzone treffen. Vor »Lara« – der In-Boutique. Um mir die Zeit zu vertreiben, schlendere ich durch die Stadt. Als ich mich selbst im Schaufenster sehe, bekomme ich einen Schreck. Mein Hosenanzug sieht nicht schlecht aus, spannt aber
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