Treuepunkte
dass er sich bei meinem letzten Anruf in einem gigantischen Funkloch befunden hat. Die Technik weist durchaus Lücken auf. So sind wir Frauen – suchen immer brav Entschuldigungen für männliches Fehlverhalten. Was sind wir doch für erbärmlich harmoniesüchtige Wesen! Ich wähle und wieder antwortet nur die Mailbox. Diesmal spreche ich drauf. Ich begnüge mich mit einer klaren, knappen Nachricht: »Ruf mich an. Sofort.« Das sollte reichen. Wirklich freundlich war das jetzt nicht, aber immerhin deutlich. Ich hatte eine ähnliche Tonlage wie diese Domina in der Werbung für eine Masochisten-Telefonhotline.
Mittlerweile haben wir Mitternacht. Ich zappe mich durch die Programme. Meine Güte, was läuft nachts für ein Mist. Man hat die Wahl zwischen debilen Quizshows und Werbung für Telefonsexhotlines. Die Flasche Wein ist leer. Eine verzweifelte Moderatorin mit schlechten Extensions (man sieht die Knötchen) redet sich einen Wolf, bietet mehrere Geldpakete für die Lösung einer kinderleichten Aufgabe. Selbst mit meinem rotweindusseligen Kopf springt mich die Antwort geradezu an. Ich habe ja nichts weiter zu tun und wenn ich mal eben ein paar schnelle Euros machen könnte, das wäre doch was. Ich habe noch nie bei einer solchen Quizshow angerufen,
aber die Moderatorin fleht ja geradezu darum. Also gut. Ich wähle. Besetzt. Nochmal. Beim dritten Mal habe ich Erfolg. Leider ist nicht die Moderatorin dran, sondern es läuft ein Band. Und das, obwohl zeitgleich die Blondine im Fernsehen bittet und bettelt, man möge sie anrufen. Wo bleibt denn da die Logik? »Püppi, ich ruf doch an, du musst nur drangehen«, denke ich und wähle noch einmal. Auch bei der achten Wahlwiederholung erreiche ich nur das Band. Langsam geht es hier ums Prinzip. Ich lasse mich doch nicht verarschen. Jeder Anruf kostet 49 Cent. Jetzt habe ich schon so viel Geld vertelefoniert, dass ich die Geldpakete auch wirklich brauchen könnte. Aber noch dringender brauche ich mehr Wein. Wenn man erst mal anfängt zu trinken, kann man sich dran gewöhnen. Ich hole mir eine weitere Flasche aus Christophs heiligem Regal. Eine, die echt teuer aussieht, so eine eingestaubte. Ich hoffe, es ist eine wahre Rarität.
Es ist fünf nach halb eins und von Christoph weit und breit keine Spur. Ich rufe ein letztes Mal an, erreiche wieder nur seine bekloppte Ansage und entschließe mich, gemein zu sein – sehr, sehr gemein: »Schatz, ich bin in der Notaufnahme und weiß nicht, ob das Bein dranbleiben soll. Wo steckst du? Was soll ich tun? Melde dich.« Hä, der wird einen schönen Schreck kriegen. Verdientermaßen. Selbst schuld, wenn er auf keinen meiner Anrufe reagiert. Immer noch quengelt die blöde Blondine im Fernsehen, dass sie keiner anrufe. Zwei Versuche gebe ich mir noch: »Danke für Ihren Anruf.« Na bravo. Scheint der Abend der Anrufbeantworter zu sein. Ich gebe auf. Sowohl bei der Quiztante als auch bei Christoph. Dann halt nicht.
Ich bin saumüde, sogar schon zu müde, um überhaupt
noch aufzustehen. Ich kann ebenso gut hier unten auf dem Sofa ein Nickerchen machen, dann höre ich auch, wenn Christoph heimkommt. Ich schaffe es nicht mal mehr, den Fernseher auszumachen (vom Zähneputzen und Abschminken gar nicht zu reden) und falle abrupt in den Tiefschlaf.
Ich werde wach, weil mich ein rotgesichtiger Kerl rüttelt und schüttelt und dabei wüste Beschimpfungen ausstößt. Ich bin so verpennt, dass ich einen Moment brauche, um zu registrieren, dass es sich hier um meinen Mann handelt, der momentan aber auch eine vage Ähnlichkeit mit Rumpelstilzchen hat. Ich sehe ihn wie durch einen Nebelschleier, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich meine Kontaktlinsen zum Schlafen nicht rausgenommen habe. »Lass mich schlafen«, brumme ich ihn an. »Hör mir gefälligst zu«, schreit er auf mich ein. »Du bist doch geisteskrank«, ist der nächste Satz, der in mein Matschhirn vordringt. Geisteskrank, das geht nun aber langsam zu weit. Ich setze mich auf und starre ihn an. »Was regst du dich denn auf?«, will ich wissen. Ich meine, wer war denn bis zum frühen Morgen mit Belle Michelle unterwegs? Er oder ich? Das ist mal wieder typisch. Eine altbekannte Kerl-Strategie. Angriff ist die beste Verteidigung. Aber nicht mit mir. Auf dermaßen bekloppte Tricks falle ich in meinem Alter nun wirklich nicht mehr rein. »Reiß dich zusammen und nenne mich nie mehr geisteskrank«, sage ich so ruhig und klar wie nur möglich. »Ich soll mich zusammenreißen?«, tobt
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