Treuepunkte
jetzt will ich mich im Rausch dieser wunderbaren Vorstellung suhlen.
Viel Zeit bleibt mir dafür nicht. Claudia, meine neunjährige Tochter, mittlerweile in der vierten Klasse, und Mark mein Sohn, fast sechs Jahre alt, verlangen mal wieder volle Aufmerksamkeit. Sie streiten sich so dermaßen, dass ich kurz davor bin, das Jugendamt anzurufen, um die beiden abholen zu lassen. Ich schaffe es ohne Jugendamt. Eine Stunde später liegen sie abgefüttert und einigermaßen sauber im Bett. Und nun? Ein weiterer aufregender Abend liegt vor mir!
Ich werde auf Christoph warten. Mal hören, wie es mit Belle Michelle war. Außerdem kann ich ihn durch meine Anwesenheit vielleicht auch sanft daran erinnern, dass er schon eine Frau hat. Sicher ist sicher. Es ist nicht so, dass ich rasend eifersüchtig bin, aber seit Christoph zum Juniorpartner
in der Anwaltskanzlei Langner aufgestiegen ist, lebt er praktisch in der Kanzlei. Bald werde ich den Kindern Bilder zeigen müssen, damit sie sich wieder erinnern, wie ihr Vater aussieht. Nicht dass sie irgendwann auf der Straße einen wildfremden Kerl anspringen und ekstatisch »Papa« schreien. Christoph ist ein ehrgeiziger Mann – tut all das aber selbstverständlich nur für uns, seine Familie.
Ich gucke die »Supernanny« und bin erstaunt, was es für Kinder gibt. Wo haben die wohl diese Zwergmonster aufgegabelt? Dagegen sind meine ja geradezu wohlerzogen. Immerhin hat mich noch keins angespuckt oder alte Schlampe genannt. Man wird dankbar für kleine Dinge. Ich genehmige mir eine Flasche Wein. Für mich eher ungewöhnlich. So allein vor mich hin zu picheln, macht mir eigentlich keinen Spaß. Aber heute Abend verlangt mein Körper nach Alkohol. Bin gespannt, wann mein Mann sich nach Hause bequemt.
Nach dem dritten Glas Rotwein ist es Viertel nach zehn und kein Christoph weit und breit. Ob ich mal anrufe? Ich meine, er könnte ja einen Unfall gehabt haben oder eine fiese Panne. Vielleicht braucht er Hilfe? Ich wähle seine Handynummer und komme mir schon beim Wählen doof vor. Wie so eine Kontrolltante, typisch eifersüchtige hysterische Ehefrau. Es antwortet seine Mailbox. Ich lege auf. Wie ich das hasse. Nie geht mein Mann an sein Telefon. Wozu hat der überhaupt ein Handy? Wie oft habe ich ihm erklärt, dass ein Handy an sein muss, um seine Funktion zu erfüllen. Ich habe wortreich Horrorszenarien entwickelt: »Stell dir mal vor, ich wäre mit Claudia oder Mark in der Notaufnahme und müsste entscheiden,
ob das Bein abgenommen werden soll oder so was Ähnliches. Da wäre es doch sinnvoll, wenn du auch was dazu sagen würdest. Dazu musst du dein Handy aber anmachen.« Er ist durch solche Schilderungen nicht zu erschüttern.
Aber warum hat er jetzt sein Handy aus? Eine Stimme tief in mir drin sagt, dass er an Michelle rumbaggert. Belle Michelle. Versucht gerade, sie in ein Hotelzimmer zu locken, und will dabei selbstverständlich nicht durch häusliche Kontrollanrufe gestört werden. Um diese unsinnige Idee zu vertreiben, trinke ich schnell noch ein Glas Rotwein. Wer weiß, wie die gerade rumfingern? Ich kippe das Zeug runter wie Wasser und hoffe, es ist einer von Christophs guten Weinen. Eine der Flaschen, die erst in drei bis vier Jahren ihr wahres Aroma entwickeln und als Investition für die Zukunft angeschafft wurden. Eine der Flaschen, die ich nicht mal berühren darf. Mein Mann liebt Rotwein. Seine Schätze liegen unten im Keller fein säuberlich in einem eigens dafür angeschafften Weinregal. Christophs Traum ist ein extra Weinkeller. Am besten mit so einem Weinschrank, in dem konstant eine bestimmte Temperatur herrscht. Schnickschnack, meiner Meinung nach. Es gäbe wahrlich Dinge, die wir dringender brauchen könnten. Aber welche Anschaffung wie wichtig ist, darüber waren wir schon immer unterschiedlicher Ansicht.
Noch ein Glas Rotwein später ist es halb zwölf. Ich glaube, der tickt nicht richtig. Wie lange dauert »eben mal was durchsprechen«? Ich könnte ihm ein paar knallen. Der macht sich einen flotten Abend mit Belle Michelle und ich hänge zu Hause rum und schütte mich
mit Rotwein zu. Je mehr ich darüber nachdenke, umso saurer werde ich. Meine rationale Seite meldet sich. Ich sollte ins Bett gehen. Die Warterei macht einen ja komplett mürbe. Andererseits – jetzt habe ich so lange ausgeharrt, da möchte ich schon noch sehen, in welchem Zustand mein Ehemann hier einläuft. Und vor allem wann! Einen Telefonversuch mache ich noch. Ich meine, kann ja sein,
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