Tribunal
kennt sich offensichtlich gut darin aus. Und er hat uns – und zwar ganz bewusst uns und keine anderen – hierher gelockt.« Frodeleit hielt inne, leuchtete mit der Taschenlampe abwechselnd in ihre Gesichter und nickte.
»Wir sitzen ganz tief in der Scheiße! – Achim, sag es mir, wenn du es anders siehst!« Löffkes Stimme klang bettelnd und schwach. Seine Lippen waren schmal aufeinandergepresst.
»Nein!« Frodeleits Antwort glich einem Befehl.
Dörthe setzte sich auf den Boden.
»Da ist nur Dreck!«, sagte Verena.
Dörthe lachte kurz auf. »Als ob das eine Rolle spielen würde! Du hörst doch, in welcher Situation wir uns befinden. Außerdem muss ich dringend aufs Klo. Ich halte das nicht mehr lange aus.«
»Nur ein bisschen Disziplin«, schrie Frodeleit. »Ich will einfach nur Disziplin.«
»Aber wenn sie doch muss …«, entgegnete Hubert entschuldigend und beugte sich zu Dörthe herunter. »Vermutlich will er, dass wir uns in die Haare kriegen. Vielleicht gehen Sie ein bisschen weiter, bis dahin, wo es ganz dunkel ist«, schlug Marie vor.
»Es ist mir peinlich.«
Dörthe schluchzte. Sie waren erst kurze Zeit hier unten, doch Bromscheidt begann bereits, ihnen die Würde zu nehmen.
»Nun geh schon!«, zischte Frodeleit. »Ja, vermutlich will er das«, fuhr er fort. »Es gehört zu seinem Plan. Aber wir dürfen uns nicht so verhalten, wie er kalkuliert. Es geht um uns, das ist doch klar. Wir sind keine Zufallsopfer. Es gibt eine Verbindung von Bromscheidt, oder wie immer er heißen mag, zu uns. Diese Verbindung müssen wir finden. Dann, und nur dann, haben wir eine Chance.«
»Meinst du, dass wir in Lebensgefahr sind?«, fragte Verena erstaunlich naiv für ihre Verhältnisse.
»Nicht gucken!« Dörthe hatte sich erhoben und tapste nach vorn in die Dunkelheit. »Ihr müsst alle in die andere Richtung gucken!«
Ihre Worte hallten unwirklich dumpf von den Stollenwänden zurück. Keiner konnte Dörthe sehen.
Frodeleit trat wütend gegen die Tür.
»Kann es jemand sein, den du einmal verurteilt hast?«, fragte Verena von hinten.
»Es gibt keinen Straftäter, der sich gern verurteilen lässt«, erwiderte Frodeleit erregt und hämmerte weiter gegen die Tür.
»Nicht leuchten!«, rief Dörthe aus dem Dunkeln.
»Natürlich kann es einer meiner Straftäter sein«, stieß Frodeleit hervor. »Die meisten haben kein Unrechtsempfinden. Ich kenne doch ihre Märchen, die sie auftischen. Die erstaunt geweiteten Augen, wenn ich ihnen Vorhaltungen mache, das hartnäckige Leugnen, wenn sie mit dem Vorwurf der Anklage konfrontiert werden. Seit über 20 Jahren kenne ich leugnende Angeklagte«, betonte Frodeleit mit eigenartigem Stolz.
»Denkst du an einen Bestimmten?«, fragte Verena weiter.
»Du kennst die Prozesse fast so gut wie ich«, gab er gereizt zurück. »Ich habe dir von fast allen Verfahren erzählt. Nein, mir fällt kein konkreter Täter ein, weil es letztlich jeder meiner Kunden sein könnte.«
»Haben Sie nie Zweifel?«, fragte Marie.
»Natürlich habe ich Zweifel. Und wenn die Zweifel groß genug sind, spreche ich frei. Aber nicht bei jedem kleinen Zweifel, Frau Schwarz. Ich richte nicht in einem freien Raum. Wir haben es mit dem normalen Leben zu tun, also mit Lebenswahrscheinlichkeiten und nicht mit künstlichen Absurditäten.«
Dörthe stieß wieder zu ihnen. »Es hat geklappt«, sagte sie.
Frodeleit empfand ihre Worte als albern und fühlte sich unterbrochen.
»Ich will sagen«, fuhr er verärgert fort, »dass ich keine Neigung habe, abenteuerlichen Schilderungen meiner Angeklagten nachzugehen, wenn sich die naheliegende Wahrheit geradezu aufdrängt.«
»Über welchen Unsinn ihr euch hier unterhaltet«, ereiferte sich Löffke schwer atmend.
Frodeleit hielt einen Moment inne, dann trat er wieder gegen die Stahltür. »Bromscheidt!« Er hielt sein Gesicht dicht vor die Tür, als könnte er sich dadurch draußen besser verständlich machen.
»Reagieren Sie endlich! Lassen Sie uns hier raus, und wir vergessen alles! Keiner von uns wird Sie anzeigen. Sie werden nichts zu befürchten haben. Das ist ein Angebot, Bromscheidt! Denken Sie darüber nach! So günstig wird es für Sie nie wieder.« Sein Angebot war hilflos und arrogant. Er trommelte noch ein paar Mal mit der Faust auf den Stahl.
»Lassen Sie den Quatsch!«, schrie Stephan. »Es wird ihn nicht beeindrucken. Wer uns mit so viel Geschick hierhin gelockt hat, geht nicht darauf ein, denkt nicht daran, aufzugeben und so zu tun, als sei
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