Tribunal
nichts geschehen.«
»Ich bin für gute Ratschläge, wie wir hier unbeschadet rauskommen, sehr dankbar, Herr Knobel«, gab Frodeleit barsch zurück. »Bislang habe ich noch nicht viel von Ihnen in dieser Richtung gehört. Was schlagen Sie denn vor, Herr Kollege?«
»Denken Sie über die Frage Ihrer Frau nach!«, entgegnete Knobel. »Hatten Sie nicht mit Angeklagten zu tun, die Sie im Gericht oder später bedroht haben? Gab es Angeklagte, die beispielsweise bei der Feuerwehr oder generell bei der Stadt gearbeitet haben? Bromscheidt muss doch irgendwie an die Schlüssel zum Stollensystem gekommen sein. Er kennt sich hier aus. Also wird er häufig hier gewesen sein, um seine Aktion vorzubereiten. – Fällt Ihnen wirklich niemand ein?«
»Nein, verflucht!«Frodeleit schlug wütend mit der Hand auf die Tür. »Ich denke die ganze Zeit darüber nach, aber es fällt mir keiner ein. Soweit ich weiß, hat mich auch kein Angeklagter bedroht. – Herr Knobel, Sie wissen doch selbst, wie das ist: Wenn dem Angeklagten das Urteil nicht passt, kann er es anfechten. Und dann hat er entweder Glück und die nächste Instanz ändert das Urteil zu seinen Gunsten ab, oder er hat Pech und es bleibt bei meinem Spruch. Dann weiß der Angeklagte eben, dass das Urteil richtig ist. Nachhaltige Wut über die vermeintliche Ungerechtigkeit bleibt da nicht. Selbst der dümmste Angeklagte begreift einmal, dass er zu Recht bestraft wird und dass er sich schadet, wenn er sich an den Richtern abarbeitet. Irgendwo tief im Innern erkennen diese Menschen die Macht des Richters an. Sie haben zwar kein Unrechtsempfinden, aber sie haben wenigstens Respekt vor dem Richter.«
»Eigenartig, woran Sie alles in unserer Lage denken«, meinte Marie.
»Sie verstehen doch gar nicht, worum es geht«, winkte Frodeleit ab.
»Wie ist es mit Ihnen, Herr Löffke?«, fragte Stephan seinen Sozius. »Haben Sie Feinde? Immerhin hat Bromscheidt mit Ihnen als Ersten von uns Kontakt aufgenommen.«
Löffke schüttelte den Kopf.
»Komm, mit deinen Prozessgegnern gehst du nicht zimperlich um«, warf Dörthe ein. Sie stellte sich neben ihn. An den Kanzleifesten saß Dörthe zumeist still neben ihrem Mann, der seinerseits lärmend die Gesellschaft unterhielt, Gespräche an sich zog oder sie anderen aufdrängte. Dabei trank Löffke reichlich und machte fade Witze, über die er selbst am meisten lachte, und begann unter dem Eindruck des Alkohols zunehmend zu schwitzen. Dörthe wirkte dabei wie eine Statistin; aber sie hielt bis zuletzt aus und fuhr nach den Feiern ihren Mann heim. Außerhalb der Feste erschien sie nur selten in der Kanzlei und vornehmlich nur dann, wenn sie auf Huberts Wunsch aus der Fleischerei ihrer Eltern Wurstplatten in das Büro brachte.
Löffke legte zärtlich den Arm um ihre Schulter. Niemand aus der Kanzlei hatte bislang Hubert Löffke seinen Arm um die Schulter seiner Frau legen sehen.
»Mir fällt niemand ein«, presste er hervor. »Ich vertrete meine Mandanten gut und erfolgreich und die Klienten wissen das.«
»Kein verlorener Prozess?«, fragte Stephan ungläubig. »Ich könnte Ihnen gleich mehrere aufzählen.«
»Natürlich geht mal ein Prozess verloren«, erwiderte Löffke. »Man kann schließlich nicht vorher wissen, was die Zeugen aussagen.«
Stephan schnaubte. Nicht einmal in dieser Situation gestand sich Löffke Fehler ein.
Dörthe stand beschützend neben ihm und sie beschützte ihn tatsächlich: Sie hielt zu ihm. Was verband die beiden eigentlich?
»Du erzählst mir doch manchmal Geschichten aus dem Büro, Hubert«, hakte Frodeleit nach. »Du bist doch stolz, Gebühren zu ziehen. Dir macht es doch Spaß, aus jedem Fall das wirtschaftliche Optimum herauszuholen. Du giltst als Gebührentreiber, Hubert. Das sagst du doch selbst.«
»Verdammt, ich kenne Bromscheidt nicht!«, schrie Löffke. »Ich würde mich doch an ihn erinnern.«
»Ich halte es nicht mehr aus.« Verena streifte ihre Jacke ab und warf sie auf den Boden. Die Luft schien drückender zu werden. Löffke und Frodeleit hielten weiter die Taschenlampen in ihren Händen und leuchteten ziellos umher. Im Schein des Lichts glänzten die toten Rohre und Leitungen stumpf an der Wand.
Verena begann zu heulen.
»Versteh mich nicht falsch, Verena«, sagte Frodeleit im Bemühen, seiner Stimme einen besänftigenden Klang zu geben. »Aber wenn wir uns gehen lassen, tun wir vermutlich genau das, was er von uns erwartet.«
»Früher oder später werden wir alle heulen«, murmelte
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