Tribunal
gezwungen sein, sich einzubringen und seine Rolle als vermittelndes Instrument zu verlassen. Er müsste sich mit den Argumenten der Verteidigung auseinandersetzen und sie selbst gewichten. Die Verteidigung Löffkes könnte ihn, den Richter, verantwortlicher machen. Der Anschein der Rechtsstaatlichkeit könnte gefährlich werden.
»War denn wirklich keine Verteidigung für den Prozess vorgesehen?«, erkundigte er sich und ordnete sich mit dieser Frage gehorsam Bromscheidt unter.
»Sie sind der Richter, Sie leiten das Verfahren!«
Frodeleit kapitulierte.
»Dann besetzen wir eben die Rollen des Staatsanwalts und des Verteidigers«, schnaufte er. »Herr Knobel wird Verteidiger – und wer soll Staatsanwalt sein?«
Er sah auf Marie. Wie gern würde er sie in dieser Rolle sehen, wissend, dass sie sich weigern würde und dadurch dem Prozess den Anschein der Rechtsstaatlichkeit wieder nehmen würde. Ein Strafprozess ohne Staatsanwalt – vielleicht würde sich Frodeleit weigern können, das Verfahren zu Ende zu führen. Er blickte erwartungsvoll in die Kamera.
»Ich bitte Sie, verehrte Frau Frodeleit, die Staatsanwältin zu spielen«, bestimmte Bromscheidt.
Frodeleit schüttelte den Kopf. »Sie kennt sich mit der Juristerei nicht aus, sie ist bloß Reiseverkehrskauffrau.«
»Umso besser«, begeisterte sich Bromscheidt. »Als Laiin hat sie ein besseres Gerechtigkeitsempfinden. – Frau Staatsanwältin, bitte nehmen Sie Ihren Platz ein! Ihr Mann wird Sie darüber informieren, wann Sie etwas sagen müssen. Wir wollen das Prozedere einhalten.«
Verena ging zur Holzbank und setzte sich unsicher.
»Herr Knobel, Sie wollen wirklich Herrn Löffke verteidigen?«, fragte Frodeleit.
Hoffentlich versteht er die Frage als Drohung, dachte Frodeleit. Hoffentlich begreift er, dass er besser fährt, wenn er sich erst gar nicht des schuldig zu sprechenden Angeklagten annimmt.
Frodeleit entwickelte in den von ihm geleiteten Verfahren Aversionen, manchmal sogar Verachtung für die Anwälte, die sich für ihre unzweifelhaft straffällig gewordenen Mandanten einsetzten. Ein Verteidiger hatte in Frodeleits Augen nur dann seinen Sinn, wenn die Schuld des Angeklagten tatsächlich infrage stand. Aber die Anzahl dieser Fälle war verschwindend gering. Zumeist stand nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen nach Auswertung der sorgfältig erhobenen Spuren fest, dass der Angeklagte der Täter war. Was also sollte der Verteidiger, der sich mit zweifelhaften Beweisanträgen engagierte, den Zeugen das Wort im Mund herumdrehte und sich im Abschlussplädoyer in langatmigen Ausführungen erging, die die Schuld des Mandanten relativieren oder sie möglicherweise anderen, wenn nicht sogar der Gesellschaft im Ganzen, in die Schuhe schieben sollten? Frodeleit pflegte während dieser Plädoyers in den vor ihm auf dem Richterpult liegenden Kommentaren zum Strafgesetzbuch zu blättern und das Papier rascheln zu lassen. Wenn der irritierte Verteidiger einhielt, um seine Aufmerksamkeit einzufordern, sah er gelangweilt auf und bat den Verteidiger mit gedehnten Worten fortzufahren, bevor er sich wieder in den Kommentar vertiefte. Zu lange Plädoyers erhöhten die Strafe des Angeklagten. Der schlaue Verteidiger wusste das. Er verzichtete auf das Plädoyer und bat nur um ein gerechtes Urteil. Daraufhin pflegte Frodeleit diese Einsicht mit einer Strafe am unteren Rand des Strafrahmens zu belohnen.
»Ja, ich werde Herrn Löffke verteidigen«, antwortete Stephan, einerseits ängstlich und andererseits glücklich, Maries Vorbild folgen zu können.
Er wird sich ins Zeug legen, dachte Frodeleit. Er ist gefährlich.
»Und Sie, Frau Schwarz?« Bromscheidt wirkte unschlüssig. Sein Konzept schien durcheinanderzugeraten.
»Ich bin Herrn Knobels Assistentin«, schlug sie vor.
»Ein Verteidiger reicht«, warf Frodeleit ein. »Wir haben auch nur eine Staatsanwältin. Es muss Waffengleichheit herrschen.«
»Aber in Wirklichkeit darf ein Angeklagter auch mehrere Verteidiger haben«, entgegnete Bromscheidt. »Ich denke, das wird Ihren Richterspruch nicht beeinträchtigen. – Also lassen wir das zu! – Bitte, Frau Schwarz, gehen Sie zu Herrn Knobel! Es tut mir leid, dass Sie beide mit Herrn Löffke stehen müssen. Aber vielleicht gestattet das Gericht, dass Sie sich alle auf den Boden setzen. Was meinen Sie, Herr Frodeleit?«
»Das würde dem Prozess die Würde nehmen.«
»Würde die Würde nehmen, sehr gut«, urteilte Bromscheidt schnalzend. »Ich merke, Sie
Weitere Kostenlose Bücher