Tribunal
Richter Frodeleit machte. Es fehlte auch die Blende vor dem Richterpult, die den Blick der anderen auf die Beine des Richters versperrte. Die Einrichtung der Sitzungssäle gewährte nie den Blick auf die Unterkörper. Justiz fand nur mit dem Oberkörper statt, auch auf den Plätzen des Staatsanwaltes und der Verteidigung. Man schaute nicht unter dem Tisch hindurch auf die Straßenschuhe des Richters oder die schlanken Waden der Richterin.
Frodeleit schlug die Beine übereinander, was er im Sitzungssaal nie tat.
»Wir verhandeln heute in der Sache gegen Hubert Löffke«, eröffnete er.
Löffke schaute seinen Freund ungläubig an. »Du spinnst, Achim.«
Frodeleit sah kurz auf, aber er erwiderte nichts. Stephan stieß seinen Mandanten in die Seite und raunte ihm zu, nichts mehr zu sagen, bis er dazu aufgefordert werde.
»Ich tue es nur, weil ich nicht anders kann«, sagte Frodeleit.
»Ich höre nicht richtig«, brüllte Bromscheidt durch den Lautsprecher. »Bitte laut und deutlich sprechen!«
»Da hörst du es«, sagte Frodeleit.
Löffke packte Stephan am Arm. »Was ist denn in der Zwischenzeit passiert?«, fragte er verständnislos.
»Herr Bromscheidt möchte, dass gegen dich wegen Parteiverrats verhandelt wird«, erklärte Frodeleit. »Wir haben keine andere Wahl. Wir sind alle in seiner Gewalt. Ich würde es nicht tun, wenn es eine Alternative gäbe …«
»Wir sitzen alle mit unserem Arsch in einem Boot, Achim, begreifst du das nicht? – Was hat er dir denn versprochen, dass du dich hier zu so etwas hinreißen lässt?«
»Herr Frodeleit, bezichtigt Sie der Angeklagte gerade der Käuflichkeit?«, unterbrach Bromscheidt. »Würden Sie sich im Gerichtssaal so etwas bieten lassen? Sind Sie etwa käuflich?«
»Natürlich nicht«, antwortete Frodeleit in Richtung Mikrofon. »Ich denke, dass Herr Löffke aus nachvollziehbarer Verzweiflung so redet. Ich jedenfalls verstehe Herrn Löffke durchaus.«
»Mir gefällt Ihre Verhandlungsführung nicht, Herr Frodeleit. Sie wissen, dass ich reagieren muss, wenn Sie sich mit dem Angeklagten solidarisieren. Versagt Ihr Gerechtigkeitssinn, weil es gegen Ihren Freund geht?«
»In der Wirklichkeit würde ich mich für befangen erklären müssen«, sagte Frodeleit.
»Aber wir sind hier nicht in Ihrer Wirklichkeit. Riskieren Sie nicht, in Ungnade zu fallen, bloß weil von Ihnen verlangt wird, gegen einen Freund zu verhandeln. Sie kennen doch die fragwürdigen Praktiken seines anwaltlichen Wirkens.«
»Ich weiß eigentlich gar nichts«, wehrte Frodeleit ab.
»Sie werden es herausfinden müssen, Herr Frodeleit. Sie wissen, von welchem Urteil ich ausgehe. Und ich erwarte, dass Sie sich alle Mühe geben.«
Frodeleit sah mitleidig zu seinem Freund. Sein Blick warb um Verständnis, bedeutete das Gelöbnis, es nicht zum Schlimmsten kommen zu lassen, wenn es sich irgendwie abwenden ließe.
»Verdammt, Achim, warum rennen wir nicht einfach los? Warum schmeißen wir nicht den Tisch und diese Bänke in die Lichtschranken und brechen einfach durch? Du kannst dich doch nicht diesem Wahnsinnigen ergeben, Achim! Du gewinnst doch nichts! Soll er es doch pfeifen lassen! Dörthe und ich haben es ja laut und deutlich gehört. Merkst du nicht, dass du als Zweiter auf die Schlachtbank gehen wirst? Du kommst hier doch nicht raus!«
Frodeleit saß mit steinerner Miene hinter seinem Tisch.
»Wir haben erst recht nichts getan«, kreischte Verena.
»Herr Vorsitzender«, dröhnte es aus dem Lautsprecher. »Ich werde ungeduldig.«
Bromscheidt ließ die Lichtbögen hinter den Lichtschranken funkensprühend aufblitzen. Es brummte dumpf und bedrohlich, es zischte und knisterte. Als das Schauspiel vorbei war, stiegen kleine weiße Schwaden durch die Halle. Und es roch wieder verbrannt.
»Ich verzichte auf die Daten zur Person«, sagte Frodeleit. »Sie sind bekannt.«
Dann blickte er seine Frau an. »Frau Staatsanwältin, bitte!«
Frodeleit wandte sich wieder ab und sah wie unbeteiligt auf die gegenüberliegende Wand. Im Gerichtssaal sah er an dieser Stelle stur geradeaus, mied jeden Blick auf den links sitzenden Staatsanwalt oder den rechts sitzenden Angeklagten und seinen Verteidiger. Frodeleit sah leer und unbestechlich nach vorn, verzog keine Miene und wusste, wie sehr der Angeklagte seinen Gesichtsausdruck zu deuten versuchte. Verriet der Blick Teilnahmslosigkeit oder konzentriertes Zuhören? Würde sich Frodeleit für die Version des Angeklagten interessieren oder würde er ihn abblitzen
Weitere Kostenlose Bücher