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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Marie lächelte. »Aber es entspricht dem, was Sie selbst einfordern. Wenn Sie Gerechtigkeit reklamieren, ist jetzt Ihre Gelegenheit, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.«
    »Zum Sieg zu verhelfen«, wiederholte der Lautsprecher gedehnt, doch Bromscheidts Stimme klang hilflos.
    Marie begriff, dass sie einen empfindlichen Punkt getroffen hatte. Sie musste Bromscheidt in die Pflicht nehmen und ihn zugleich bestätigen.
    Frodeleit sah sie irritiert an. Er hatte hinter dem Richterpult Platz genommen, widerwillig, um Bromscheidt zu Diensten zu sein, und dennoch bereit, sich in dieser Situation seinem Willen zu beugen. Er würde später sein Handeln erklären können. Wer hätte anders gehandelt im Angesicht des Terrors, den Bromscheidt so geschickt inszenierte. Es war ohne Zweifel eine Notstandssituation. Bromscheidt bediente wenige Knöpfe, die sein System am Leben hielten: der eine Schalter, der die Lichtschranken und damit die gefährlichen Lichtbögen dahinter regulierte, und der andere Schalter, der den unerträglichen Pfeifton in die Halle schickte und alle nach seinem Gutdünken zu foltern vermochte. Das dauernde Pfeifen würde sie in den Wahnsinn treiben. An Schlaf wäre nicht zu denken. Sie würden unter dem Eindruck dieser Folter übereinander herfallen und den Verstand verlieren. Schließlich Bromscheidts Herrschaft über die Nahrungsaufnahme. Alles war leicht zu durchschauen. Er hatte mit einfachsten Mitteln ein Terrorsystem installiert und wollte, dass Frodeleit in diesem System die Richterrolle spielte. Frodeleit hatte durchaus verstanden, dass er Bromscheidt zu Willen sein musste. Aber Frodeleit wollte ihm – geschützt durch die Notstandssituation – auch zu Willen sein, wenn es half, dass er es unbeschadet überstehen konnte. Frodeleit hatte noch nie, weder rechtlich noch moralisch, Menschen verurteilt, die in einer Zwangslage in einer Art und Weise gehandelt hatten, die nicht ihrem natürlichen Willen entsprach. Frodeleit kannte von sich, dass der Grundsatz, sich selbst der Nächste zu sein, naturrechtliche Gültigkeit beanspruchte und all jenen kein Vorwurf gemacht werden konnte, die diesem Prinzip folgend nur deshalb etwas an sich Unrechtes taten, weil sie sonst selbst Schaden erlitten hätten. Sich selbst retten zu wollen, schien Frodeleit ein zutiefst im Menschen angelegter Drang zu sein, dem jeder Mensch im Zweifel vernünftigerweise Folge leistete. Frodeleit betrachtete Bromscheidts Gewaltinstrumente aus zweierlei Sicht: Zum einen bedrohten sie ihn, Frodeleit, selbst, und zum anderen waren sie eine stimmige und hinreichende Erklärung dafür, dass er sich von Bromscheidt für dessen Zwecke missbrauchen lassen durfte. Es war widersinnig und zugleich verständlich, dass Frodeleit sich in seinem erzwungenen Tun umso legitimierter fühlte, je bedrohlicher das von Bromscheidt gestaltete Inszenario war. Die Verantwortung war in dieser unwirklichen Stollenwelt auf Bromscheidt übergangen. Es war nicht wie im wirklichen Leben, wo er, Frodeleit, als Richter die Angeklagten in die Pflicht nehmen und sie zur Verantwortung ziehen konnte. Hier handelte er bar jeder eigenen Verantwortung, und wenn er richten sollte, dann nicht als der Richter Frodeleit, als der er seine Entscheidungen vor seinem Gewissen und vor dem Gesetz zu verantworten hatte und rechtfertigen konnte. Hier war er schlicht Werkzeug, und die Verantwortung, ob er handelte, lag letztlich ebenso wie jene, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise er die ihm zugedachte Rolle ausfüllte, allein bei Bromscheidt. Frodeleit fügte sich, weil er sich selbst retten wollte und auch retten durfte. Es befreite, dass er das, was er tun musste, auch tun durfte. Und deshalb wollte er es auch.
    »Sind Sie auch der Meinung, dass wir Staatsanwalt und Verteidiger brauchen?«, wandte sich Bromscheidt an Frodeleit.
    »Es wäre rechtsstaatlich«, antwortete Frodeleit, doch er sagte es ohne Leidenschaft.
    Hier unten ging es nicht um den Rechtsstaat, und ob er nun Löffke mit oder ohne Staatsanwalt, mit oder ohne Verteidiger schuldig sprechen würde, schien einerlei, weil Frodeleit davon ausging, dass das Ergebnis dieses sogenannten Prozesses, der Schuldspruch, ohnehin schon feststand. Insgeheim empfand Frodeleit sogar ein gewisses Unbehagen, dass Löffke ein Verteidiger zur Seite gestellt werden könnte, denn eine gute Verteidigung würde ihn, Frodeleit, fordern und ihn zwingen, den Schuldspruch sorgfältiger zu begründen. Mehr noch: Frodeleit könnte

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