Tribunal
in den Stollen, in dem wir die Nacht verbracht haben. Ist Ihnen das recht?«
Bromscheidt schwieg.
»Ich unterbreche die Sitzung.« Frodeleit genügte der Form.
»Kommen Sie!«
Stephan ging quer durch die Halle; Löffke, Dörthe und Marie folgten ihm in den gegenüberliegenden Stollen.
»Kommen Sie!«, winkte Stephan weiter.
Er nahm die Taschenlampe, die Löffke nach dem Verlassen des Gefangenenstollens vor der Tür abgestellt hatte, schaltete sie ein und ging mit den anderen an dem Toilettenhäuschen vorbei ins Dunkel. 20 bis 30 Meter weiter blieb er stehen. Die anderen schlossen zu ihm auf. Stephan strahlte mit der Lampe an die Wände.
Es schienen keine Mikrofone vorhanden zu sein.
»Er ist mein Freund«, schnaubte Löffke.
Stephan bedeutete ihm, leise zu sprechen.
»Wir kennen uns eine halbe Ewigkeit«, fuhr Löffke erregt fort. »Wir sind durch dick und dünn gegangen. Warum macht er so was?«
»Er steht unter Druck«, meinte Dörthe.
»Er opfert uns, hast du das nicht verstanden, Dörthe? Er macht willfährig das, was Bromscheidt von ihm verlangt. Es kümmert ihn nicht, wenn wir in diesem Loch verrecken.«
»Eindrücklicher könnte Bromscheidt das Projekt ›Justiz und Gewissen‹ nicht umsetzen«, sagte Marie.
»Also ist es doch ein Spiel?«
In Dörthes Frage lag die Hoffnung, dass alles nur ein Experiment sei, das bald überstanden sein müsse.
»Ich glaube nicht, dass Bromscheidt spielt«, entgegnete Marie. »Aber es gelingt ihm natürlich, in dieser Bunkeranlage ein Szenario zu entfalten, das vergangene Zeiten lebendig werden lässt. Sie, Herr Löffke, standen gerade da wie die Angeklagten damals vor dem Volksgerichtshofpräsidenten Freisler. Achim Frodeleit spielt seine Rolle bisher gut. Er gibt den Richter – und es bedurfte nicht mehr als einer Drohung mit Strom, Pfeifton und Nahrungsentzug.«
Hubert Löffke schüttelte verständnislos den Kopf.
»Stimmt es, dass Sie gegenüber den Frodeleits damit prahlten, wie Sie Mandanten übervorteilt haben?«, wollte Stephan wissen.
»Übervorteilen?«, ereiferte er sich mit gepresster Stimme, »was heißt übervorteilen? Ich rechne ordentlich ab, Herr Knobel, und jeder in der Kanzlei weiß das. Es ist kein Geheimnis und erst recht kein Betrug. Sie wissen selbst, dass die Gebührenordnung Spielräume eröffnet. Sie zu nutzen ist nichts Unrechtes.«
»Nach Frau Frodeleits Darstellung hört sich das anders an«, hielt Stephan dagegen.
»Wundert es Sie, dass sie sich zur Handlangerin ihres Mannes macht?«, fragte Löffke zurück.
»Ich verstehe ohnehin nicht, was Sie miteinander verbindet«, warf Marie ein.
»Es sind häufig Abende, an denen sich nur die Männer unterhalten«, meinte Dörthe. »Wir Frauen haben da nicht viel beizusteuern. Ich habe es dir schon häufig genug gesagt, Hubert! Spaß machen diese Treffen meistens nicht.«
»Das tut jetzt nichts zur Sache«, antwortete Löffke. Er wischte sich über den Mund.
»Ich muss was trinken, verdammt, Knobel, helfen Sie mir!«
»Da vorn.«
Stephan leuchtete in Richtung Stollentür. »Rechts vor der Tür müsste ein Kasten Wasser stehen. Bringen Sie mehrere Flaschen mit! Ihre Frau braucht auch etwas.«
Löffke tastete sich durch das Dunkel nach vorn. Er kam mit drei Flaschen zurück und ließ aus einer das Wasser in seinen Mund fließen.
»Ich glaube, dass wir bisher in eine falsche Richtung denken«, sagte Stephan. »Bisher schien es so, als sei Bromscheidt hinter Ihnen her.«
»Ist er das etwa nicht?«, fragte Löffke, ohne die Flasche abzusetzen. Das Wasser tropfte von seinem Kinn herab.
»Vielleicht ist er auch hinter Ihnen her, aber sein Hauptgegner ist Frodeleit.«
Löffke schüttelte den Kopf. »Er macht Dörthe und mich zu Opfern seines Terrors, nicht Sie oder die Frodeleits, Herr Knobel.«
»So scheint es zu sein. Aber ich glaube, in Wirklichkeit interessiert ihn nur der Richter Frodeleit. Denken Sie nach: Er lockt uns mit seinem vermeintlichen Projekt Justiz und Gewissen‹. Es geht ihm um Richterkarrieren, wie er selbst sagt. Sicherlich: Es sieht so aus, als habe er Frodeleit zufällig über Sie kennengelernt, aber es spricht alles dafür, dass er sich gezielt an Sie gewandt hat, um an Frodeleit heranzukommen. Erinnern Sie sich, was er alles über Frodeleit weiß! Er hat sich über ihn erkundigt und kennt offensichtlich wesentliche Stationen seiner Karriere. Er legt scheinbar auf ein ordnungsgemäßes Verfahren Wert, mahnt bei Frodeleit Strenge und Konsequenz an, aber er
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