Tribunal
Verhältnissen vernommen, Herr Vorsitzender«, konterte Stephan gelassen. »Sie führen die Verhandlung nicht ordnungsgemäß.«
»Herr Knobel!« Frodeleit lehnte sich aggressiv vor. »Wir sind hier in einer anderen Situation. Sie machen es uns allen unnötig schwer.«
»Der Richter beugt das Recht«, fuhr Stephan unbeirrt laut fort. »Es kann keine gesetzmäßige Verhandlung durch einen Richter geben, der das Recht beugt. Ich beantrage, das Verfahren sofort einzustellen.«
»Äußern Sie sich bitte zu den Vorwürfen, Herr Frodeleit!«, wies Bromscheidt an. »Sie haben Wohl und Wehe in der Hand. Denken Sie daran: Wir sind erst wenige Stunden hier.«
Frodeleits Blicke wechselten zwischen Stephan und der Kamera hin und her. Was sollte Knobels Einwurf? Er musste doch wissen, dass es Bromscheidt um die Verurteilung Löffkes ging und keine juristische Formalie Bromscheidt dazu bringen würde, ihn, den Richter, zu entpflichten. Warum konnte Knobel nicht mitspielen und im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf hinwirken, dass Löffke günstiger davonkommen könnte? Hatte Knobel nicht begriffen, dass es für alle das Beste war, mit Bromscheidt wenigstens äußerlich zu kooperieren? Bestand nicht eine Chance darin, Löffke zum Geständnis und zum Ausdruck des Bedauerns zu bewegen? Frodeleit würde die Unterwerfung doch honorieren und gegenüber Bromscheidt dafür werben, dem Schuldspruch keine weiteren Sanktionen folgen zu lassen. Knobel musste doch wissen, dass er sie alle mit seinem Verhalten noch mehr als Marie mit ihren naiven Solidarisierungsversuchen gefährdete. Sie saßen eben nicht alle in einem Boot, wie Löffke behauptet hatte.
»Ihr Einwand, Kollege Knobel, greift nicht durch. Wir wollen hier nicht Petitessen des Verfahrensablaufs diskutieren. Es geht um das große Ganze. Ich denke, Sie verstehen mich, Kollege Knobel.«
Mit Kollege redete Frodeleit auch in seinen Verhandlungen die Anwälte an, wenn er ihr Einverständnis einforderte und signalisierte, dass er das Geständnis des leugnenden Angeklagten mit einer deutlich milderen Strafe belohnen würde. Auch bei diesen Gelegenheiten ging es um das von Frodeleit so gern genannte große Ganze, um den Sinn des Prozesses als solchen, und das konnte nur bedeuten, mit einem Urteil den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Der Wille, das große Ganze zu betrachten, konnte aus ganz unterschiedlichen Gründen ausgelöst werden. Manchmal war es auch nur die fortgeschrittene Uhrzeit an einem Sitzungstag, wenn sich der Prozess unerwartet lange hinzog. Der Appell an Knobel enthielt die Mahnung, sich auf die Situation zu besinnen, in der sie sich befanden. Knobel würde sich keine Verdienste erwerben, wenn er Löffke tatsächlich verteidigte. Sie würden Hand in Hand arbeiten müssen, der Richter und der Verteidiger. Frodeleit belohnte Verteidiger und bestellte sie gern zu Pflichtverteidigern, wenn sie sich kooperativ zeigten und die Verhandlungsführung des Richters nicht mit eigensinnigen Beweisanträgen blockierten und stattdessen den Angeklagten zum zügigen Geständnis bewegen konnten. Er wusste von Löffke auch stets, welche Anwältinnen und Anwälte wirtschaftliche Not litten. Ihnen diente er eine Pflichtverteidigung an, wenn sie verstanden, wie sie sich im Prozess zu verhalten hatten. Frodeleit wusste geschickt für die Kooperation im Strafprozess zu werben und besaß ein untrügliches Gespür für die seinen Strategien aufgeschlossenen Anwälte. Wirtschaftlicher Zwang machte rechtlich fügsam.
»Anwalt ohne Fall und ohne Geld ist zum Prozessstatisten schnell bestellt«, witzelte Frodeleit im Golfklub.
»Ich bin auch in Petitessen genau, Herr Vorsitzender«, beharrte Stephan, trat vor den Richtertisch und sah Frodeleit unverwandt an. Das Gesicht des Richters glänzte.
»Wenn der Prozess platzt, werden Sie sich verantworten müssen«, dröhnte Bromscheidt aus dem Lautsprecher.
Stephan spürte, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben und trumpfte weiter auf. »Welche Art Richter verkörpern Sie, Herr Frodeleit, wenn Sie elementare Bestandteile der Prozessführung ignorieren und Ihr eigenes Recht schaffen? Wie können Sie es wagen, da von Petitessen zu reden, Herr Frodeleit?«
Stephan dehnte provozierend Frodeleits Namen und ging auf den Richtertisch zu. Frodeleit pflegte in seinen Verhandlungen schroff zu reagieren, wenn man ihn mit seinem Namen ansprach. Er wollte ausschließlich in seiner Funktion angesprochen werden und die Prozessbeteiligten nicht körperlich an
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