Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
gegen das Holz der Wohnungstür. Leise öffnete Sackowitz die Balkontür und schlich sich hinaus. Zwei Schritte durch den Schnee, dann überwand er die eiserne Balkonbrüstung und kraxelte am Sperrmüll hinab.
Nie hätte ich gedacht
,
dass ich mich mal über den alten Plunder freuen würde.
Er sprang den letzten Meter und landete auf dem Boden. Etwas knirschte. Zum Glück waren es nicht seine Knöchel, sondern nur der vereiste Abfall unter seinen Schuhsohlen.
Ohne einen Blick zurück durchquerte er den Hinterhof. Kurz bevor er den Hinterausgang des gegenüberliegenden Altbaus erreichte, hallte eine Stimme zu ihm herüber. »Herr Sackowitz, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Er drehte sich um.
Am geöffneten Treppenhausfenster stand der Hausmeister im Overall und schwenkte grüßend seinen Wischmopp. »Ist Ihre Wohnungstür kaputt?«
»Nein, nein, alles bestens.«
»Sie wissen aber schon, dass Sie das Treppenhaus ruhig benutzen können, wenn ich putze.«
Sackowitz winkte zum Dank und fand sich kurze Zeit später auf der Frankfurter Allee wieder.
Beruhige dich!
Es hatte sich kein Mörder vor seine Tür geschlichen. Nur der Hausmeister! Freitag war Reinemachtag.
78
Lustlos stocherte Anna in den Bratnudeln herum, die Nina vom Chinesen um die Ecke mitgebracht hatte. Sie mühte sich kauend mit einem erkalteten Bissen ab, während ihre Freundin von Sachsopharm
erzählte. Doch die Gestalter waren für Anna unglaublich weit entfernt. Ein ganzes Leben.
Sie zwang sich zur Aufmerksamkeit. Vielleicht würde sie das unverfängliche Geplauder etwas ablenken? Mit der Hoffnung wuchs gleichzeitig ihr schlechtes Gewissen.
Manuel braucht deine Hilfe
,
und was tust du?
Sie hörte überflüssigem Zeug zu – und wartete. Aber sie wusste nicht, was sie noch hätte tun können. Die Tatenlosigkeit, zu der sie jetzt verurteilt worden war, erzeugte in ihr ein Gefühl der Ohnmacht. Es war, als ergebe sie sich dem Schicksal.
Was geschieht gerade mit Manuel? Was macht er? Was wird mit ihm gemacht?
Sie mochte es sich nicht ausmalen. Die Gedanken vertrieben auch den letzten Rest ihres sowieso schon kümmerlichen Appetits. Die Nudeln verschwammen vor ihren Pupillen. Tränen tropften ins Essen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Alan sich seine Jacke überzog. »Wohin willst du?«, fragte sie sofort.
»Ich sagte doch gerade, ich muss in die Firma.«
»Du willst jetzt in die Arbeit?«
»Von Wollen kann keine Rede sein, aber ich muss mit meinem Chef reden.«
Anna stach so heftig in die Bratnudeln, dass die Gabel die Pappbox durchbohrte. Inzwischen hatte sie sich so sehr an Alans Beistand gewöhnt, dass die Vorstellung, er würde sie allein lassen – und wenn es nur für eine oder zwei Stunden war –, Beklemmungen in ihr auslöste. »Kannst du deinen Chef nicht anrufen? Er muss das doch verstehen.«
Ihr Mann nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Ich bin bald zurück. Außerdem ist ja Nina da.«
Annas Freundin rutschte um den Tisch herum zu ihr. »Natürlich bleibe ich bei dir, Darling, keine Bange.« Sie schwiegen, bis sie hörten, wie Alan vor dem Haus den Wagen startete. In den Motorenlärm hinein fragte Nina: »Ist alles in Ordnung mit euch beiden?«
Anna zündete eine Gauloise an. »Er hilft mir. Er steht mir bei. Endlich.«
Nina entriegelte das Küchenfenster.
»Tut mir leid.« Hastig fächelte Anna den Rauch fort. Die Zigarette drückte sie in dem Nudelbrei aus. »Ich habe nicht daran gedacht.«
»Ist schon okay.« Mit der offenen Hand fing Nina einige Schneeflocken auf, die in den Raum segelten. Die meisten landeten auf der Anrichte, wo sie schmolzen und kleine durchsichtige Seen hinterließen – wie Tränen. »Das mit dir und Alan, das ist gut.«
»Aber zu spät.« Annas Blick heftete sich an das Bild an der Wand. Manuels Lachen erschien ihr keineswegs mehr so ausgelassen und fröhlich wie am Morgen zuvor. »Weißt du, wenn wir uns nicht …«
»Nein, Darling!«, befahl Nina. »So etwas darfst du nicht einmal denken.«
Verzweifelt warf Anna ihre Arme in die Höhe. »Aber wenn es doch stimmt? Wenn ich nicht …«
Die Türklingel brachte sie und ihr schlechtes Gewissen zum Verstummen. Stattdessen glomm Hoffnung in ihr auf. Mal wieder. Sie erlosch, als Kriminalhauptkommissar Peter Veckenstedt in den Korridor trat – allein. Anna versuchte, in seiner Miene zu lesen. Unter dem grauen Haar, in dem Reste von weißen Schneeflocken schmolzen, wirkte das Gesicht des Ermittlers nicht niedergeschlagen, was Anna
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