Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Strickmütze über die Augen rutschte. »Das ist nett, aber wir würden Sie gerne um etwas anderes bitten.« Genervt stopfte er die Mütze in die Jackentasche. »Die letzten beiden Anrufe, die Radomski gestern vor seinem Tod getätigt hat, wurden mit einem gewissen Harald Sackowitz an dessen Arbeitsplatz geführt. Wir gehen davon aus, dass sich die beiden in Grünau verabredeten und bei diesem Treffen vom Mörder überrascht wurden. Sackowitz konnte entkommen. Ach so, dieser Herr Sackowitz ist …«
»… Reporter beim
Kurier
,
ich weiß.«
»Man sagte uns schon, dass Sie ihn kennen.«
»Na ja, kennen ist übertrieben, aber ich bin einige Male mit ihm aneinandergeraten, und im letzten Herbst haben wir in einem Fall sozusagen zusammengearbeitet.«
»Dann wissen Sie ja auch, wie sich das mit den Journalisten und ihrem Pressegeheimnis verhält.«
»Sie glauben also, er wird sich eher mit mir als mit Ihnen unterhalten wollen?«
Die beiden Ermittler aus Grünau nickten erwartungsvoll.
Kalkbrenner pfiff Bernie zu sich. Er hatte an dieser Theorie so seine Zweifel, willigte aber ein: »Okay, ich werde mit ihm reden.«
86
»Guten Morgen!« Statt Jeans und Pullunder hatte Ludwig heute einen feinen Anzug an. »Na? Gut geschlafen?«
»Ja, gut.« Tabori hatte auf der weichen Matratze eine wunderbare Nacht verbracht. Zum ersten Mal seit Tagen war er auch nicht unsanft aus dem Schlaf gerissen worden, heute hatte ihn der Duft frischen Brotes geweckt.
»Magst du frühstücken?«, fragte Ludwig. »Ich habe extra frische Brötchen gekauft.«
»Brötchen?«
»Schrippen.«
»Ah!« Schrippen kannte Tabori aus der Bäckerei. In der Küche tischte Ludwig zusätzlich Toast und Rosinenbrot auf, dazu gab es Wurst, Käse, Erdbeermarmelade und einen Schokoladenaufstrich. Tabori hatte keine Ahnung, ob er daheim in Gracen jemals ein so fürstliches Frühstück gegessen hatte.
Ludwig schaltete den Fernseher auf dem Kühlschrank an. Aus den winzigen Lautsprechern klang heitere Popmusik. »Ich gucke zum Frühstück immer
MTV
. Du auch?«
»Nein, Radio. Aber Radio ist …« Tabori wollte das richtige Wort nicht einfallen. »… tot?«, machte er einen Versuch.
»Was ist mit deinem Radio?«
Tabori beschrieb mit seinen Händen einen Gegenstand, der auf den Boden fiel.
»Es ist heruntergefallen? Und jetzt ist es kaputt?«
»Ja, kaputt!«
»Das ist nicht schön.«
»Und Fernsehen … Mama sagt: Fernsehen ist zu viel Zeit.«
»Sie meint Zeitverschwendung?« Die Mikrowelle machte sich bemerkbar, und Ludwig stellte eine Tasse mit dampfendem Kakao vor Tabori. »Da hat deine Mutter auch recht: Zu viel
Fernsehen ist nicht gut. Aber sie wird bestimmt nichts dagegen haben, wenn du ein bisschen
MTV
schaust. Du brauchst es ihr ja nicht zu verraten.«
»Nicht verraten!«, wiederholte Tabori entschlossen und schmierte sich die Schokocreme dick auf eine Schrippenhälfte. Heimlich Fernsehen zu gucken war ganz sicher nicht so schlimm wie der versuchte Diebstahl, den er seiner Mutter verheimlichen würde.
Ludwig drehte den Tonregler, und die Musik wurde lauter. Dazu klatschte er fröhlich in die Hände. Er begann sogar zu tanzen, aber seine Bewegungen waren ungelenk und er besaß kein Taktgefühl. Tabori konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
»Was ist? Gefällt dir mein Tanz nicht?«
»Du … Tanz … wie Gitarre spielen.«
»Was? So schlecht?«, fragte Ludwig belustigt. »Vielleicht solltest du mir auch noch das Tanzen beibringen.«
Tabori verschluckte sich bei der Vorstellung an seiner Schrippe.
»Bestimmt tanzt du richtig gut.«
»Nein, nein, ich nicht!« Vor anderen Leuten zu musizieren, das war schon schwer genug, aber die Vorstellung, vor ihnen auch noch tanzen zu müssen, das war völlig abwegig.
»Ich habe heute leider nicht so viel Zeit für dich«, sagte Ludwig und wurde sofort wieder ernst. »Ich muss zur Arbeit.«
»Was arbeitest du?«
»Nun, ich bin … Wirtschaftsinformatiker.«
»Was ist das?«
»Ich arbeite mit Computern. Kennst du Computer? Natürlich kennst du Computer. Gut, also, ich sorge dafür, dass ein Computer mit einem anderen Computer reden kann. Verstehst du das?«
»Ja«, sagte Tabori, schüttelte aber unbewusst den Kopf.
Ludwig lachte schallend. »Manchmal geht es mir genauso wie dir, Tabori. Dann verstehe ich auch kein Wort.«
»Ich auch … arbeiten?«
»Ob du mitkommen kannst? Nein, das ist nichts für dich.«
Tabori spürte, wie sich in seinem Hals ein Kloß bildete. Das Schlucken fiel
Weitere Kostenlose Bücher