Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
gemacht?«
»Nein, ich.«
»Ach was, es war nur ein Vorsorgetermin. Was hast du denn gedacht?«
Kalkbrenner zuckte stumm mit den Achseln.
»Du hast gedacht, ich sei schwanger?« Muth lachte schallend. »Das fehlte mir gerade noch: Gerade erst den neuen Job angetreten und schon im Mutterschutz. Ganz toll. Das wären ja die allerbesten Voraussetzungen für eine steile Karriere.«
»So etwas kann doch immer mal passieren.«
Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht, das gerade noch so heiter gewesen war. »Nein, mir darf
und wird
so etwas nicht passieren.«
Kalkbrenner glaubte zu erahnen, woher ihre plötzliche Schwermut rührte.
Als türkische Frau sowieso.
Er hielt in der Rigaer Straße, die von Häusern im Stil der Dreißiger gesäumt wurde. Eine ältere Dame mit Handwagen mühte sich die vereisten Eingangsstufen zum Bürgersteig hinab. Kalkbrenner reichte ihr hilfsbereit seinen Arm, während Muth schon die Tür aufhielt. Die Seniorin dankte dem Ermittler schüchtern und trippelte dann weiter zum
Ring
-
Center
.
Die beiden Polizisten stahlen sich zum Hauseingang hinein und bis in die erste Etage hinauf. »Schau dir mal die zersplitterte Türzarge an«, sagte Muth.
Kalkbrenner streifte sich Einmalhandschuhe über und verpasste der Holztür einen sanften Stoß. Sofort flog sie auf, und eiskalter Wind schlug ihm entgegen. »Herr Sackowitz?«
In der Diele hatte jemand eine schmale Kommode umgestürzt. Die Schublade war aus den Schienen gezerrt, Kleinzeug wie Schreibblöcke und Kugelschreiber lag auf dem Boden. »Herr Sackowitz, sind Sie da?«
Ein oder zwei Stockwerke weiter oben drang plärrende Hip-Hop-Musik aus einer Wohnung. Hinter einer anderen Tür rauschte vernehmlich die Klospülung. In Sackowitz’ Wohnung herrschte jedoch durchdringende Stille.
Kalkbrenner tat einen vorsichtigen Schritt in den Flur. Neben einer zerbrochenen Schublade lag in einem Haufen ein Mantel, der vom Kleiderhaken gerissen worden war. Daneben türmten sich drei Paar Sneakers des Modells Adidas Superstar
in Rot, Blau und Schwarz.
In einem Zimmer stand die Balkontür weit offen und gewährte dem Frost und allem, was noch so kommen mochte, freimütig Einlass. Sämtliche Möbel waren auf übelste Weise zugerichtet, der Sessel mit dem Rosenblütenmuster zum Großteil seiner Polsterung beraubt. Ein Tisch und ein Stuhl waren umgekippt worden, und unweit der Kochnische hatte der Eindringling die Essteller zerschmettert, die Töpfe demoliert und alle Schubladen entfernt.
»Wohl kaum ein Zufall«, stellte Muth fest.
»Davon hatten wir in der Tat schon viel zu viele.«
»Was glaubst du, welche Rolle Sackowitz in der Sache spielt?«
»Nun, er ist Journalist«, sagte Kalkbrenner. »Er wird auf Informationen gestoßen sein, die andere gerne für sich behalten möchten. Ich verständige jetzt erst einmal die Spurensicherung.«
Während Kalkbrenner telefonierte, fegte der Wind mit einem beängstigenden Heulen über die Balkonbrüstung in die Wohnung. In der vereisten Schneeschicht auf dem Balkon konnten die Beamten geriffelte Schuhabdrücke ausmachen, die sich über das meterhoch aufgetürmte Sperrgut im Hinterhof entfernten.
»Wer bricht denn zur Tür ein und verschwindet dann über den Balkon?«, zweifelte Muth.
»Vielleicht hat ihn Sackowitz auf frischer Tat ertappt?«
»Dann wäre er wie die anderen einfach erschossen worden.«
Kalkbrenner ging in die Diele, kehrte mit dem blauen Paar Sneakers zurück und verglich das Profil mit den Abdrücken im Schnee. »Aber nicht, wenn er fliehen konnte.«
88
»Schläfst du?«, hörte sie Alans körperlose Stimme in der Dunkelheit.
Anna erschrak, und der Traum, der aus einem Sammelsurium an beängstigenden Bildern bestanden hatte, entwand sich noch im selben Augenblick ihrem Gedächtnis. Für wenige Sekunden lag sie erleichtert in der Finsternis.
Es war alles nur ein Traum.
Dann tastete sie um sich, spürte das Kissen, die weiche Biberbettwäsche und die zerknitterte Bluse, die ihr schweißnass am Oberkörper klebte.
Doch kein Traum. Es ist Realität.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken«, sagte Alan.
»Und ich wollte nicht schlafen!«, stöhnte Anna. Es war ihr peinlich, sich ausgeruht zu haben.
Nach ihrem Auftritt vor der Presse war gestern Abend alle Kraft und alles Selbstbewusstsein, die sie vor den Kameras demonstriert hatte, mit einem Ruck von ihr abgefallen. Die Anstrengungen der vergangenen Monate waren zusammen mit der Panik der letzten Tage zu viel für sie gewesen.
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